Können die Finnen eigentlich kochen? Wo in Österreich gibt es ein finnisches Restaurant? Oder wenigstens ein finnisches Lebensmittelgeschäft? Fragen übder Fragen – und eine umso überraschendere Antwort: Die finnische Region Saimaa ist 2024 „European Region of Gastronomy“ – eine Auszeichnung des International Institute of Gastronomy, Culture, Arts and Tourism (IGCAT), die nur wenige bekommen. Sogar eine geschützte Herkunftsbezeichnung „D.O. Saimaa“ gibt es mittlerweile.

Eine wahnsinnig lange Küstenlinie

Finnlandfans kennen die Region, viele andere müssen auf der Karte suchen und werden im Südosten des Landes fündig. Dort, wo besonders viel Blau ist: Der Saimaa-See, nachdem die Region benannt ist, ist Finnlands größter See. Über Süd- und Nordkarelien erstreckt sich Saimaa bis an die russische Grenze.

Der Saimaa ist ein ganzes System aus Seen
Der Saimaa ist ein ganzes System aus Seen © Mikko Nikkinen/Visit Finland

Die Anfahrt von Helsinki führt durch lichte Wälder mit Birken, Kiefern und Fichten. Und noch mehr Birken, Kiefern und Fichten – eine scheinbar endlose Kulisse. Zu zwei Dritteln ist Finnland bewaldet.

Nicht minder beeindrucken weitere Zahlen: Knapp 14.000 Inseln liegen im See selbst. Aufgrund der vielen zerklüfteten Buchten misst die Küstenlinie schier unglaubliche 15.000 Kilometer.

Lappeenranta liegt am Südufer des Saimaa-Sees
Lappeenranta liegt am Südufer des Saimaa-Sees © GoSaimaa

Immer wieder blitzt das Blau durch die Bäume. Bunt schieben sich vereinzelt kleine Holzhäusern ins Bild. Mit 24 Menschen pro Quadratkilometer ist der Landstrich dünn besiedelt. Städte findet man hier kaum. Eine Ausnahme ist Lappeenranta, urbanes Zentrum der Region. In der Hafenstadt am südlichen Seeufer leben rund 72.000 Einwohner.

Küchenklischee adé

Für die Entdeckung der gastronomischen Seite Saimaas ist Lappeenranta ideal: Bei einem Spaziergang entlang des Hafens zur Festung oder einer Radtour über die Inseln der Umgebung holt man sich Hunger – und dann geht es ins „Wolkoff“.

Das gemütliche Restaurant in einem Holzhaus wirkt auf den ersten Blick nicht wirklich wie ein Fine-Dining-Tempel: lockere Kleiderordnung, Holztische, rustikal-traditionelle Einrichtung. Was auf der Speisekarte steht, lässt dann alle Finnlandstereotype vergessen: Kohlrabi mit Minze-Sauerrahmschaum und Jalapeño-Pfeffer, Seefisch aus dem Tagesfang mit Chili, frittierte Polentastangen und lokale Pilze. Geschickt kombinieren die Köche fremde Gewürze und einheimische Zutaten, Waldkräuter etwa.

Ist das typisch? Für den Küchenchef Karo Sintonen: Ja! Man ahnt es: Dass gerade Saimaa europäische Gourmetregion wurde, ist kein Zufall. Finnische Küche mit russischem Einfluss, jede Menge frischer Fisch und Gemüse und dazu ein paar innovative Köche. Fertig ist die Überraschung auf dem Teller. Einer der Stars dieser Szene ist Ilkka Arvola.

Spitzenkoch triff Wildnis

Der 47-Jährige stand einst in den besten finnischen Restaurants am Herd, dann hatte er genug vom hektischen Alltag. Was nicht heißt, er hätte mit Kochen aufgehört. Nur tut er es heute über dem Lagerfeuer, weit draußen auf dem Land am Someenjärvi, mit manchmal recht ungewöhnlichen Zutaten.

Er verarbeitet kleine Seefische, die kaum so groß wie ein Daumen sind, zaubert winterliche Quappen- oder sommerliche Brennnesselsuppe mit Klee und selbstgebackenem schwarzem Brot. Er serviert Blumensalat oder Waldpilz-Cappuccino, einen grünen Wald-Smoothie mit Fichtenspitzen.

Vorher geht der Spitzenkoch mit seiner Lebenspartnerin Asta und den Gästen mit dem Boot zum Fischen raus – und auch durch den Wald, um Kräuter zu sammeln. „Am schönsten ist Saimaa im Herbst“, sagt der sonst eher schweigsame Ilkka, „wenn sich das Laub färbt, die Pilze und Beeren reif sind.“ Die Natur sei dann voller Zutaten, man müsse nur zugreifen. Dank des Jedermann-Rechts in Finnland ist dies überall erlaubt.

Ein kulinarischer Höhepunkt ist auch das Restaurant „Koskivahti“ im „Sahanlahti Resort“, einer alten Wassermühle. Auch hier: Niemand rückt im Abendkleid oder förmlicher Kleidung an. Wozu sich herausputzen, wenn es doch um den reinen Genuss geht? Auf der Speisekarte stehen konsequent lokale Zutaten: Regenbogenforelle, Gans, Kartoffeln, Steinpilze und Johannisbeeren, Kohl und Gurken. Kann man daraus mehr als Hausmannskost machen?

Es funktioniert ganz einfach, indem man ungewöhnliche Kombinationen und Verarbeitungsschritte zulässt – eine Johannisbeer-Rotwein-Sauce zum Beispiel oder eingelegte Pilze, über dem Feuer gegrillt. Kräuter zu einer Mousse verarbeitet oder geröstete Butter, die man aufschäumt.

Unendlichkeit des Saimaa-Sees

Nun wird man kaum nur zum Schlemmen in die Gegend kommen. Zu schön ist die Landschaft, die man verpassen würde, selbst wenn man mit Spitzenkoch Ilkka Arvola schon unterwegs war.

Die schiere Unendlichkeit des Saimaa-Sees kommt während einer abendlichen Bootsfahrt im benachbarten Linnansaari-Nationalpark voll zur Geltung. Spiegelglatt liegt er da, der See, gespickt von Inselchen. Man könnte die hier heimischen Ringelrobben sehen. Doch die seltenen Tiere zeigen sich gerade nicht.

Lautlos wabern die Bugwellen des Bootes bis an den Horizont, wo gerade ein spektakulärer Sonnenuntergang mehr oder weniger geradewegs wieder in den Sonnenaufgang mündet. Richtig dunkel wird es im Sommer auch in Südfinnland nicht.

Selbst hier, im Nationalpark, wo es mehr um Outdoor und Aktivurlaub geht, sind kulinarische Überraschungen keine Seltenheit: Bitte, wo sonst bekommt man an der Snackbude Pizza, belegt mit Elch- oder Rentierfleisch?