Mit Schönheitswettbewerben ist das ja – weil hoch subjektive Normen zum absolutistischen Generalmaßstab erklärt werden – so eine Sache. Im Fall von Korsika ist das Urteil allerdings historisch belegt. Schon für die alten Griechen war die Insel „Kalliste“ – die Schönste. Wer einmal hier war, wird nicht widersprechen.

Aber wie alles Schöne war auch Korsika im Laufe der Jahrhunderte wild umstritten und hoch begehrt. Gegen die Angriffe wehrte man sich im 17. Jahrhundert mit einer Kette aus 85 Wachtürmen entlang der Küste. Antike Handymasten, über die die Nachricht von sich nähernden Schiffen mittels Feuer und Rauchzeichen binnen kürzester Zeit über die gesamte Insel verbreitet und die Bevölkerung so gewarnt wurde. Sie zog sich zum Schutz ins zerklüftete Landesinnere zurück.

Heute kommen keine Piraten oder feindliche Kriegsschiffe mehr – dafür Touristen. Drei Millionen sind es pro Jahr, dazu kommt der Berufsverkehr. So spucken allein die regelmäßig zwischen dem französischen und italienischen Festland beziehungsweise den Nachbarinseln und Korsika pendelnden Fähren pro Jahr über vier Millionen Passagiere aus, die Hälfte davon in Bastia an der Nordostküste, dem größten und wichtigsten Handels- und Passagierhafen der Insel.

Die Stimme der Engel

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Gleich gegenüber vom Hafen empfängt der Place Saint Nicolas, der größte Platz der Insel, die Ankommenden. An der Längsseite, hinter der Einrahmung aus mächtigen Platanen und Sonnenschirmen der kleinen Gastgärten, wartet mit dem Concept-Store Mattei das einzige Geschäft auf Korsika, das unter Denkmalschutz steht. Das liegt weniger an den rund 700 Weinen, die hier neben den hauseigenen Spirituosen und Lebensmittelspezialitäten angeboten werden, sondern an der Einrichtung unter den eleganten Gewölbebögen. Eine Fußgängerzone führt direkt zum alten Hafen.

Die zahlreichen Kirchen und Kapellen dienen heute auch als Kulisse für eine hörenswerte Besonderheit Korsikas: die „Paghjella“, ein polyphoner Gesang, der bis vor Kurzem ausschließlich von Männern praktiziert wurde. Drei Stimmlagen vermengen sich dabei zu einer choralartigen, tonal weitgehend gleichförmigen Klangwolke. Dieser mehrstimmige Mix verdichtet sich und es entsteht bei genauem Hinhören eine vierte Stimme – die man hier „Stimme des Engels“ nennt.

Gesungen wird ohne Notenvorlage und in eigener Sprache. Das lautmalerisch dem Italienischen (und nicht dem Französischen) nahestehende Korsisch ist wichtige Säule des stolzen Selbstverständnisses der Inselbewohner. Auch die französischen Regenten wussten um die Kraft und die davon ausgehende machtzersetzende Gefahr der eigenen Sprache und verboten sie Ende des 19. Jahrhunderts. In den Bergdörfern und im Gesang konservierte sich Korsisch allerdings als kulturelles Identitätsmerkmal. Aber erst in den 1990er-Jahren wurde in Corte die erste zweisprachige Schule eröffnet, 2009 der polyphone Gesang zum Weltkulturerbe erklärt. Bis heute ist Korsisch nicht zuletzt Symbol für den ungebrochenen Unabhängigkeitshunger der Insulaner – wovon zahlreiche auf Hausmauern gesprayte Widerstands- und Forderungsparolen zeugen.

Es sind jüngste Anekdoten einer wechselvollen, an grotesken Wendungen nicht armen Geschichte. So mussten die Genuesen als Pfand für geleistete Militärhilfe an Frankreich abtreten, davor gab es mit einem westfälischen Baron und Glücksritter sogar für kurze Zeit einen deutschen König auf Korsika. Reichhaltig dokumentiert sind all diese Episoden im zum Museum ausgebauten Gouverneurspalast in der Oberstadt. Über eine elegante Stiege oder mittels modernen Lifts erreicht man diesen wuchtigen Festungsbau im von engen, schachbrettartig angelegten Gassen durchzogenen Zitadellenviertel.

Im 19. Jahrhundert, als die ersten Touristen aus England, Frankreich und der Schweiz auf die Insel kamen, entstanden auf dieser Höhe die ersten Hotels – der Blick über das Meer genügte den „Landratten“ zur Gemütskur. Heute gehören die Buchten und Strände in Griffweite zum Meer zu den begehrtesten Lagen und Wassersportaktivitäten aller Art zum Standardangebot entlang der weitläufigen, bisweilen schroffen Küstenlinie.

Ein Gebirge im Meer

Korsika kann aber auch Gebirge. Und wie! Im Landesinneren ragen mehr als 50 Gipfel über 2000 Meter in den Himmel, der höchste ist 2706 Meter hoch. Nicht zufällig beschrieb der französische Schriftsteller Guy de Maupassant die 8700 Quadratkilometer große Insel (rund zwei Mal so groß wie das Burgenland) als ein „Gebirge im Meer“. Zwischen die kantigen, schroffen Felsformationen haben sich tiefe Täler eingegraben – ganzjährig ein Eldorado für Bewegungsbegeisterte.

Im Winter überrascht die Mittelmeerinsel sogar mit einem bis auf 1900 Meter Seehöhe reichenden Skigebiet … na ja: Es gibt inselweit knapp – aber immerhin – zehn Kilometer Piste und ein paar Langlaufloipen. Deutlich umfangreicher ist das Sommerangebot mit Wanderoptionen ohne Ende, inklusive herausfordernden Mehrtagestouren quer über die Insel, Kajak- und Canyoning- sowie erfrischende Bademöglichkeiten in den Gebirgsflüssen und Klettersteiganlagen wie im Asco-Tal. Hier überwindet man die Schluchten zwischen den Kraxelrouten aller Schwierigkeitsgrade mit spektakulären Flying-Fox-Passagen. Hoher Spaßfaktor garantiert, wie auch bei Fahrradtouren.

Stößt man dabei auf herumstreunende Schweine, ist Vorsicht geboten. Die Tiere verteidigen ihr Revier. Das erspart ihnen aber selten ein Schicksal als kulinarische Spezialität. Da sie in den Monaten vor dem Schlachten nur Kastanien fressen, bekommt ihr Fleisch ganz besondere Geschmacksaromen. Ähnliches lässt sich beim würzigen Käse und lokalen Bier feststellen: „Pietra“ wird aus Wasser, Malz und Kastanienmehl gebraut und inselweit vertrieben. Der ideale Begleiter für einen Sundowner im Hafen von Ajaccio oder am Fuße des Burgfelsens in Corte. An beiden Orten kommt man am bekanntesten Korsen nicht vorbei: In Ajaccio steht das als Touristenattraktion vermarktete Geburtshaus Napoleons, in Corte das verfallene Wohnhaus seiner Eltern.