Es wird eng in den Gassen. „Es wird viel darüber diskutiert, wie viele Touristen Brügge noch verträgt“, erzählt Karel Platteau über seine Heimatstadt. Im Zentrum leben rund 22.000 Einwohner, der Höhepunkt an Touristen wurde mit acht Millionen Gästen pro Jahr erreicht. Dabei wurde die belgische Stadt mit seinen mittelalterlichen Gebäuden erst Ende des 19. Jahrhunderts wieder entdeckt, als George Rodenbach seinen Roman „Das tote Brügge“ veröffentlichte und mit Fotografien ergänzte. Der Roman wurde 1903 ins Deutsche übersetzt und erzählt von einem Witwer, der in Brügge in einer Opernsängerin seine verstorbene Frau wiedererkennt. Rodenbach setzt damit der einst reichen Handelsstadt des Nordens ein Denkmal.

Heute ist Brügge Weltkulturerbe der Unesco und ein ideales Reiseziel für eine Erkundung zu Fuß. Das reiche Angebot an kulturhistorischen Denkmälern und Museen drängt sich hier auf kleinem Raum. Das Zentrum von Brügge ist ein Ensemble an denkmalgeschützten, mittelalterlichen Gebäuden, in dem man wahrlich in die Geschichte eintauchen kann.

Eintauchen kann man auch mithilfe von rund 400 Stadtführern und 50 Museumsführern. Karel Platteau, der pensionierte Hochschulprofessor, nutzte die Pandemie, um sich als Führer ausbilden zu lassen. An dem sympathischen Belgier spürt man die Leidenschaft, wenn er sein historisches Wissen teilt. Platteau erzählt von den umliegenden Eichenwäldern, in denen die Kelten siedelten, den Burgunderherzögen, dem mittelalterlichen Handel, dem Goldenen Zeitalter Brügges, den Verstrickungen mit den Habsburgern bis hin zu den Diskussionen über die Touristenströme.

Karel Platteau führt Besucher durch Brügge
Karel Platteau führt Besucher durch Brügge © Heike Dobrovolny

Alle Wege führen zum Burgplatz

Ein wahrer Schatz sind für den interessierten Historiker die Akten der Stadtgeschichte, die ab 1281 erhalten sind. Denn zum Glück wurde Brügge im Zweiten Weltkrieg nicht bombardiert und der mittelalterliche Kern der Stadt blieb erhalten. Der Burgplatz kann auf eine Baugeschichte von über 1000 Jahren zurückblicken. Damals hat Baldwin mit dem eisernen Arm als Graf von Flandern seine Burg errichtet. „Baldwin hat die Burg gegen die Wikinger ausgebaut“, erzählt der Stadtführer. Immerhin ist Brügge nur 14 Kilometer von der Nordseeküste entfernt.

„Damals wurde am Brügger Marktplatz mit Teppichen aus Aserbaidschan und Eichhörnchenpelzen aus Russland gehandelt“, versucht Platteau ein Bild der Vergangenheit zu zeichnen. Das Herz von Brügge ist noch immer dieser Marktplatz, wohin alle Straßen münden. Die Markthalle befand sich beim Belfried, dem 366 Stufen hohen Stadtturm mit seinen 47 Glocken und den umliegenden Zunfthäusern mit den Giebeldächern. Heute kann man vor allem Souvenirs kaufen und die Touristen beobachten, während man genüsslich ein belgisches Bier genießt. Nach dem Auftanken lässt man sich einfach wieder von dem Touristenstrom mitsaugen, um die nächste Sehenswürdigkeit zu erkunden.

Zum Beispiel das neu eröffnete Museum im ehemaligen Sankt-Jans-Hospital. Das Krankenhaus entstand um 1150 und zählt heute zu den ältesten und am besten erhaltenen in Europa. Es zeigt einzigartige Sammlungsobjekte und Kunstwerke, die seit Jahrhunderten mit dem Spital und seiner Geschichte verbunden sind. Dazu zählen auch ein monumentales Altarbild, zwei Flügelaltäre und der berühmte Ursulaschrein von Hans Memling. Diese Meisterwerke des gebürtigen Deutschen, der bei Rogier van der Weyden in seiner Brüsseler Werkstatt lernte und sich anschließend in Brügge niederließ, spielen im Museum eine Hauptrolle. Außerdem zählt die Memling-Sammlung des Musea Brugge zu der zweitgrößten der Welt.

Die Kunst des Heiratens

Ein Kunstsammler dieser Zeit führte den Wahlspruch „plus est en vous“, was so viel heißt wie: „Du kannst mehr, als du glaubst.“ Ludwig von Brügge, auch Ludwig von Gruuthuse genannt, wusste, wovon er sprach. Der flämische Adelige gelangte nämlich mit dem Handel einer Kräutermischung zum Würzen von Bier zu großem Reichtum. Im einstigen Palais der Familie findet man heute das Gruuthusemuseum.

Das war zu der Zeit, als Erzherzog Maximilian von Österreich Maria von Burgund, Tochter von Karl dem Kühnen, heiratete. Maximilian wurde durch die Heirat am 19. August 1477 zum Herzog von Burgund und Mitglied des Ordens des goldenen Vlieses. Dass diese Vernunftehe zu Liebe wurde, begeistert noch heute. Hier am Brügger Hof lernte Maximilian das höfische Treiben der Burgunder kennen, mit bombastischen Inszenierungen von Festen mit Löwen und Kamelen und gigantischen Dekorationen. Noch Maria Theresia konnte von dieser Vergrößerung des Habsburgerreiches profitieren.

Ganz andere Geschichten erzählt Arabic, ein Bootsführer, der die Touristen durch die Kanäle von Brügge schippert. Der gebürtige Marokkaner greift während seiner Grachtenrundfahrten auf fünf verschiedene Sprachen zurück, wenn er die Touristen auf die Gebäude, deren Bewohner und den Hintergrundgeschichten verweist. Zufrieden beschreibt er auf jeden Fall das Lebensgefühl seiner neuen Heimat: „Ich habe das Gefühl, hier im Mittelalter zu leben und darüber hinaus im Urlaub zu sein“.