Die Schatzinsel Reichenau ist immer eine Reise wert – auch wenn die Bewohner selbst von ihrem Eiland im kleineren Untersee westlich von Konstanz als „Werktagsinsel“ sprechen. Im Gegensatz zu ihrer Schwester, der „Sonntagsinsel“ Mainau im Obersee. Wer Blumen liebt, wer gerne dem Radfahren frönt oder in mittelalterlich geprägten Städtchen flaniert, der hat den Bodensee im Dreiländereck zwischen Österreich, Deutschland und der Schweiz längst zu einem seiner Lieblingsplätze erkoren.

Schauplatz dieses Stücks ist das deutsche Eck in der Region Westlicher Bodensee. Seine „Hauptdarsteller“ sind fünf Handschriften, normalerweise „Nebenfiguren“ im Museumsgeschehen, und im Falle von Reichenau in alle Winde zerstreut. Obwohl gerade sie das Prädikat „Weltkulturerbe“ ausmachen, mit dem die Insel für sich wirbt. Für die Dauer der Jubiläumsausstellung sind sie alle wieder da – in Szene gesetzt im Archäologischen Landesmuseum in Konstanz, nur wenige Kilometer weg von ihrem Geburtsort, der Schreibstube des Klosters. Sogar aus St. Paul im Lavanttal ist eine Schrift gen Westen gereist, das „Reichenauer Schulheft“, bekannt etwa durch ein altirisches Gedicht über den Klosterkater Pangur. Den irischen Wandermönchen des 9. Jahrhunderts ist seine Existenz geschuldet.

Doch zurück zum Anfang, zur Gründung des Klosters im Jahr 724 (die Gründungsurkunde selbst wurde zwei Jahrhunderte später von den Klosterschreibern gefälscht, aber das ist eine andere Geschichte): Bischof Pirmin war einer dieser Missionare aus dem hohen Norden. Das bekannte Gründungsbild aus dem Münster zeigt, wie er mit dem Schiff anlegt und allerlei „Gewürm“ das Weite sucht. Das Bild nimmt Bezug auf eine erst später entstandene Legende, denn besiedelt war die Insel schon vorher, und das „Gewürm“ war wohl eine Chiffre für die alemannischen Heiden, die zu vertreiben das Bestreben der Mönche war. Das von Pirmin gegründete Benediktinerkloster sollte über vier Jahrhunderte hinweg zu einem der bedeutendsten religiösen, geistigen und kulturellen Zentren des Heiligen Römischen Reiches werden.

Das geht ja auf keine Kuhhaut

Heute stehen nur noch drei der einst 19 Kirchen und Kapellen auf der Insel – das Münster St. Maria und Markus, die Egino-Kirche St. Peter und Paul und die Georgskirche. Drei Priestermönche und zwei Nonnen halten die Stellung. Wir treffen Pater Stefan beim Stundengebet in der Egino-Kapelle. Nach vielen Jahren des Predigens in Israel hat er auf der Insel seine Bestimmung gefunden. Für uns ist die Zeit mit dieser Runde, getragen von ihrem liturgischen Gesang, ein Moment des Innehaltens und des Eintauchens in eine Welt, die mindestens siebenmal pro Tag und einmal pro Nacht dem gemeinsamen Gebet, der Hinwendung zu Gott, gewidmet war.

Die Kirche St. Peter und Paul in Niederzell wurde 799 vom aus Verona angereisten Bischof Egino gegründet. Seine Morgengabe an die Insel: Langobardische Pracht mit Gold und Edelsteinen, in Italien damals der letzte Schrei. Erhalten ist nur die romanische Basilika, mit einem faszinierenden Fundstück: In der Altarplatte verewigten sich in grauer Vorzeit Menschen, die darauf hofften, dass die Brüder auf der Insel fortan für sie mitbeteten. Später wurde die solcherart „verunzierte“ Platte einfach umgedreht. Daher sind die Inschriften heute noch so gut erhalten und eine Quelle für damals gebräuchliche Namen.

Einer der Mönche ist befreundet mit Monika, und mit ihr setzen wir unseren Reigen fort. Monika Küble ist Kunsthistorikerin, Kennerin der Insel, mit der sie uns vertraut macht. Für ihre Romane hat sie ihre Inspiration in den Namen auf der Altarplatte und im „Verbrüderungsbuch“ im Münster gefunden, wo offizielle Bet-Partnerschaften mit anderen Klöstern und deren Bewohnern niedergeschrieben wurden. Uns inspiriert sie mit ihren Geschichten über die Insel und deren Bewohner.

Von St. Peter und Paul führt Monika zur Georgskirche in Oberzell. Das Münster ist stolz auf einen echten Blutstropfen Christi und den Markus-Schrein, die Georgskirche auf das Haupt des heiligen Georg, das rund um das Jahr 900 seinen Weg von Rom nach Oberzell gefunden haben soll. Das Gotteshaus ist aber vor allem für seine fantastischen Wandmalereien berühmt, auf denen vor unseren Augen das Mittelalter aufersteht. Bis hin zum Teufel, der auf einer Kuhhaut niederschrieb, was sträflicherweise geschwätzt wurde in der Kirche. Daher kommt auch das Sprichwort: Das geht ja auf keine Kuhhaut!

Wie ein Fisch im Wasser – oder im Wein

Der nächste Weg führt zur „Inselbrauerei“, wo Sigrun und Thomas Bundschuh den malzigen Sinn des Lebens ergründen: Vom Inselbier über das „Hopeye“, ein Grünhopfenbier, und das „Sun hops“ (mit einem Hauch von Zitrone) bis hin zu „Hoppy Laker“, der würzigen obergärigen Variante. Selbstverständlich wurde eine Kollektion mit barock anmutenden Etiketten für das Jubiläumsjahr kreiert.

Gut passt das Bier zum Bodenseefisch, den Urs Riebel in seinem Bistro nahe der Georgskirche serviert. Seit Generationen übt sich seine Familie in der Kunst des Fischfangs und zunehmend auch in der „Bruthilfe“ über die Abnahme des Laichs, denn der See gibt auf natürlichem Wege nicht mehr alles her, was die Gastronomie verlangt.

Bekanntlich muss der Fisch schwimmen, und er tut das auch gerne im Wein. Zurück im Münster geht es hinab in dessen Keller, wo der Reichenauer Winzerverein seine Heimat gefunden hat. Manfred Krämer und Tourismusmotor Karl Wehrle sind seine Propheten. Der Müller-Thurgau und der Spätburgunder sind die Aushängeschilder der Region, meist trocken ausgebaut, doch auch der Halbtrockene, „Feinherbst“ genannt, mundet. Höhepunkt und Schluss des Reigens: Der Auftritt des Pirmino, beste Lage, beste Winzer, im Eichenfass gereift.

Im Münster, anlässlich der großen Ausstellung, treffen wir sie alle wieder. Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann wird sagen: „Unser ganzes Land steht auf dieser Insel. Das hier ist das Erbe und der Auftrag der Mönche.“ Und er endet mit dem Motto des Jubiläums: „Von hier aus knüpfen wir ein Band.“