Bereits beim Anflug über den Ohridsee überwältigt der Blick über das weite, satt blaue Wasser, über dem archaische Stille zu liegen scheint. Kirchtürme und Minarette spiegeln sich im ältesten See Europas. Fester Boden unter den Füßen in der Stadt Ohrid nimmt rein gar nichts vom Zauber aus der Vogelperspektive: Dieser Fleck Erde durchdringt mit Mystik und an Heiligkeit grenzender Schönheit. Er vereint in sich mit gutem Grund Natur- und Kulturwelterbe der Unesco. „Galapagos des Balkans“ betiteln Evolutionsforscher das 1,36 Millionen alte Gewässer, in dem sich über 200 endemische Arten tummeln – unter ihnen auch die begehrte Ohridforelle.

Spektakuläre 8000 Jahre Siedlungsgeschichte an seinen Ufern sind belegt. 365 Kirchen – für jeden Tag eine – machten die Stadt einst zum christlich-orthodoxen „Jerusalem des Balkans“. Heute wetteifern hier Kirchenglocken und Muezzin im religiösen wie kulturellen Schmelztiegel, der wie im ganzen Land Okzident und Orient zu vereinen scheint. Byzantinische Gotteshäuser, deren Fresken bis ins 11. Jahrhundert datieren, säumen gemeinsam mit traditionellen Bürgerhäusern reicher Kaufleute des 19. Jahrhunderts die malerischen, kopfsteingepflasterten Gassen.

Orthodox und Ostblock

Letztere legen Zeugnis ab von der zu Ende gehenden jahrhundertelangen Herrschaft der Osmanen. Stolz ist man auf die nach oben breiter werdenden Bauten, sodass sogar die Straßenlaternen ihre Form tragen. Silberjuweliere, die die einzigartige Ohridperle – sie setzt sich aus Fischschuppen zusammen – anpreisen, erfreuen das Besucherherz, ebenso Papierschöpfer Nino mit seiner 170 Jahre alten Gutenberg-Presse und Holzschnitzer Dragan, dem man bei seiner Arbeit an einer Ikonostase auf die Finger schauen kann.

Vorbei an betagten Fahrgestellen der Marken Yugo und Zastava, Relikte der kommunistischen Ära, geht es zum wohl bekanntesten Postkartenmotiv des Landes, der orthodoxen Kirche Sveti Jovan Kaneo. Spätestens auf diesem malerischen Felsvorsprung mit Blick über den Ohridsee bis nach Albanien stellt sich Seelenfrieden ein. Dieser mag sich auf der unvergesslichen Schiffsfahrt ans andere Ufer noch verfestigen. Dort, wo der bekannteste Pilgerort Nordmazedoniens – Sveti Naum – mit seinem bedeutenden Kloster liegt, unter anderem die Wiege der kyrillischen Schrift.

Wasserreich und monumental

Magisch schön geht es auch durch die Radikaschlucht des größten Nationalparks Nordmazedoniens, flankiert von schroffen Berghängen mit urtümlichen Dörfern und überwältigenden byzantinischen Klöstern, wie dem imposanten Sveti Jovan Bigorski. „Nordmazedonien ist mit 85 Prozent Berganteil das siebtgebirgigste Land der Welt“, weiht der gebürtige Steirer Ewald König, heute Weltmarktführer für Balkanreisen, in die Landeskunde ein. „Es gibt zwar kein Meer, aber viel Wasser. Die ganze Stromversorgung des Landes liegt übrigens in österreichischen Händen“, erklärt er an einem der 60 Stauseen der Nation. Weiter geht es in Richtung Hauptstadt – zahlreiche der bis zu 2800 Meter hohen Gipfel des Bilderbuch-Wanderparadieses im Blick.

In Skopje darf nicht nur ob der quirligen Lebendigkeit und Aufbruchstimmung, sondern auch ob Protz und Prunk kräftig gestaunt werden. Vor allem über die einzigartige Geschichte, die hinter den glänzenden Fassaden steckt: Als die Stadt 1963 einem verheerenden Erdbeben zum Opfer fiel, wurde sie mit großer internationaler Unterstützung im Dienste der Funktionalität nach dem Masterplan eines japanischen Architekten wiederaufgebaut.

Sichtbeton und Nüchternheit wichen Jahrzehnte später im Rahmen des Millionenprojekts „Skopje 2014“ aufgesetzter Neoklassik bis Barock. Während dieses einzigartigen urbanen Facelifts wurden über 25 Prachtbauten sowie 150 Skulpturen und Denkmäler aus dem Boden gestampft, der einst zum antiken Königreich Makedonien gehörte. Mag die Besinnung auf glorreiche Zeiten, wie die unter dem legendären Eroberer Alexander dem Großen, dabei eine Rolle gespielt haben.

Zwischen Orient und Okzident

Den Reisegast freut es – der Schönheit, Imposanz und auch ein wenig der Skurrilität und Groteske wegen. Ein Triumphbogen, der an Paris erinnert, ein Regierungsgebäude, das die Assoziation mit Washington zulässt, überall mazedonische Helden, Dichter, Künstler, Denker in Statuen gegossen. Über ihren Häuptern die gigantische, 30 Meter hohe Ikone Alexanders des Großen. Nicht weit davon ehrt man einen ganz anderen Charakter als große Tochter von Skopje: Genau dort, wo die Missionarin der Nächstenliebe, Mutter Teresa, einst getauft wurde, darf man ihrer heute in dem ihr gewidmeten Museum gedenken.

Auf der anderen Seite der Steinernen Brücke, dem Wahrzeichen der Stadt, lässt die jahrhundertealte osmanische Vergangenheit im Alten Basar, der Seele von Skopje, grüßen. Es geht orientalisch geschäftig, aber doch gelassen zu. Einheimische und Gäste strömen von überall her, Deutsch hört man aber noch sehr wenig. Der lebenslustige 79-jährige Mendu ist stolz darauf, in seinem 113 Jahre alten Friseurladen – dem ältesten auf dem Balkan, wie er betont – haarschneidewillige Gäste aus bereits drei Kontinenten scherentechnisch betreut zu haben.

„Die Lebensfreude der Menschen, das gute Essen und der gute Wein machen schließlich die Quintessenz von Mazedonien aus“, meint Ewald König bei einem unvergesslich köstlichen Mahl in einer der vielen Bars in der Tiefe des Basars. Sich von der Balkantraube vor Ort überzeugen lassen, das kann man in der Weingegend nahe Bitola, der geschichtsträchtigen „Stadt der Diplomaten“. Man weiß auf dem Weingut Ciflik das ausgeprägte Kontinentalklima zu veredeln, schließlich wurde hier schon in antiken Zeiten Wein kultiviert. Na zdrave! Zum Wohl!