„Er wuchs mit dem Geruch des Meeres auf“, erzählt Dirk Beerens. Der Guide führt durch das Wohnhaus des belgischen Künstlers James Ensor in Ostende, dessen Todestag sich heuer zum 75. Mal jährt. Damals hätte niemand gedacht, dass Ensors Gemälde einmal in den berühmtesten Museen der Welt bestaunt werden. Seitdem das J. Paul Getty Museum in Los Angeles 1986 den „Einzug Christi in Brüssel“ kaufte, wuchs die Popularität bei einem breiten Publikum weltweit. Heute zählen das MoMa in New York, die Uffizien in Florenz, das Menard Art Museum in Aichi in Japan, das Museum of Contempory Art in Teheran, das Getty-Museum in Philadelphia und das Wiener Belvedere einen „Ensor“ zu deren Sammlungen.

Denn das Werk Ensors markiert einen Wendepunkt in der Kunstgeschichte. Um die Moderne Kunst des 20. Jahrhunderts zu verstehen, sollte man sein Schaffen kennen. Der Künstler hat die Salonmalerei verlassen und zu einer vollkommen persönlichen Formensprache gefunden. Der Maler brach mit seiner Experimentierfreudigkeit die Konventionen der Genres. Und alles begann in Ostende, wo James Sideney Èdouard Ensor sein Leben (1860–1949) verbrachte.

Seebad, Salonmalerei und Stillleben

Damals brachten die Fährschiffe reiche Badegäste der englischen Gesellschaft in die belgische Hafenstadt an der Nordsee. Aber auch bei mondänen Gästen aus dem belgischen Königshaus war das Seebad in Ostende beliebtes Ausflugsziel. Zahlreiche Cafés und Restaurants säumen noch heute die Strandpromenade. Auch das Casino existiert noch, das 1857 um einen Kursaal erweitert wurde. Die Westflamen waren wahrscheinlich die ersten gut organisierten Touristiker, denn sie führten schon damals Besucherlisten – jeder konnte so wissen, wer sich gerade in dem Badeort aufhielt. Von dieser Atmosphäre, in der die arme Bevölkerung mit reichen Urlaubsgästen kollidierten, wurde James Ensor beeinflusst. Als Maler wird er es nicht unterlassen, gesellschaftliche Missstände anzuprangern.

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In der Langenstraat Nummer 26 stand das Haus, in dem Ensor am 13. April 1860 geboren wurde und seine Mutter ein Geschäft mit Souvenirs und Strandbedarf betrieb, auch Zimmer für die Sommergäste vermietete. Das Haus der Familie Ensor, in dessen Dachspeicher sich James‘ Atelier befand, wurde vor ungefähr 20 Jahren abgerissen. Seinen Lebensabend verbrachte Ensor im ehemaligen Muschelgeschäft seines Onkels, das heute „Ensor-Haus“ genannt wird und mit einer Dauerausstellung an den berühmten belgischen Maler erinnert.

Werkschau zum Jubiläumsjahr

Heuer wird in Belgien mit 80 Aktivitäten und sieben Hauptausstellungen an den Wegbereiter der modernen Kunst erinnern. Auftakt der Ausstellungsreihe ist die einzigartige Reise durch das Stillleben des 19. und 20. Jahrhunderts in Belgien, mit James Ensor in der Hauptrolle. In der Ausstellung „Rose, Rose, Rose à mes yeux“ im Mu.ZEE in Ostende werden 40 Werke von James Ensor aus sowohl belgischen als auch internationalen privaten und öffentlichen Sammlungen gezeigt. Das Stillleben nimmt einen wichtigen Platz in Ensors Werk ein, in dieses starre Genre wollte er Leben bringen und ergänzte sie mit seinen berühmten Masken. Mit dem „Stillleben mit blauer Flasche und gerupftem Huhn“ ist auch eine Leihgabe aus dem Wiener Belvedere vertreten.

„Im Alter von 35 Jahren wollte Ensor wegen einer Krankheit sein gesamtes Œuvre der Stadt Ostende verkaufen. Gott sei Dank geschah das nicht, denn diese Sammlung wäre im Zweiten Weltkrieg zerstört worden“, philosophiert Dirk Beerens vom Ensor-Haus. Der Großteil der Werke befindet sich heute in Antwerpen. Dank einer Gruppe wohlhabender Liebhaber verfügt das dortige Königliches Museum der Schönen Künste mit 39 Gemälden und 650 Zeichnungen bereits seit den 1920er-Jahren über die umfangreichste Ensorsammlung der Welt.

Mutter als härteste Kritikerin

Auch das KMSKA in Antwerpen beteiligt sich am Ausstellungsreigen und untersucht im Rahmen eines Forschungsprojekts die materialtechnischen Aspekte im Werk. Ensors literarische Schriften und unzählige Briefe in Museumsarchiven und Privatsammlungen bilden die Quelle für die Forschung und ein besseres Verständnis seines Schaffens. Dabei wird auch nicht auf die musische Begabung Ensors vergessen. Denn der Künstler versuchte sich auch im Komponieren, hatte immer eine Blockflöte bei sich und spielte im Atelier ein Harmonium. „Er probierte alles aus, das bewundere ich“, sagt Beerens. Kein Fan war hingegen Ensors Mutter, verrät er, denn die mochte seine Bilder nicht.