Zu klein, zu groß, zu krumm – um es als frisches Lebensmittel in das Supermarktregal zu schaffen, muss es bestimmte Kriterien erfüllen. Wenn nicht, heißt es für Tonnen an frischem Obst und Gemüse: "Ab in die Tonne." Aus diesem Grund fischen immer mehr "Fooddumpster" weggeworfenes Essen aus den Mülleimern zahlreicher Handelsketten. "Lebensmittelverschwendung ist eine totgeschwiegene Klimasünde", sagt Bernhard Bocksrucker, einer der drei Gründer von "Afreshed". Das junge Start-up aus Linz setzt sich seit seiner Gründung für die Rettung von Lebensmitteln ein und verschickt pro Woche Tausende sogenannte "Retterboxen" mit Bio-Gemüse und -Obst, das weggeworfen werden würde, an Kundinnen und Kunden im östlichen Teil Österreichs. 2023 sollen Tirol und Kärnten zum Liefergebiet hinzukommen.

"Zu Beginn haben wir versucht, uns so viele Betriebe wie möglich anzuschauen, die den Einzelhandel beliefern", erzählt Bocksrucker. Mit erschreckenden Ergebnissen: Ungefähr 15 bis 20 Tonnen Lebensmittel werden in einer Woche in einem mittelgroßen Betrieb in Österreich verschwendet. Auch in Italien stattete das junge Team großen Betrieben, die teils Hunderte Hektar bewirtschaften und Europa mit frischen Lebensmitteln versorgen, einen Besuch ab. "Die Mengen, die da das Feld teilweise nie verlassen, sind unvorstellbar", so Bocksrucker.

Kundenverhalten als großes Problem

Die Gründe dafür sind vielseitig, weiß der Unternehmer. "Das größte Problem ist die Überproduktion." Viele mittelgroße und große Betriebe seien an Rahmenverträge gebunden, die voraussetzen, dass Konsumentinnen und Konsumenten immer eine gewisse Menge an Ware im Handel zur Verfügung gestellt wird, erklärt der Oberösterreicher. "Und aus Angst, Pönalen zahlen zu müssen, wird von vornherein viel mehr produziert als notwendig, weil es natürlich auch immer zu Ernteausfällen kommen kann."

Ein Problem, das laut Bocksrucker auch durch Kundenverhalten erzeugt werde. "Allein, wenn man beobachtet, wie oft Leute im Supermarkt Äpfel in der Kiste aufheben und zurücklegen, weil sie nicht 'perfekt' aussehen, wird einem bewusst, dass wir ganz aktiv zu diesem Problem beitragen."  Menschen in Österreich seien zudem preissensibler als Konsumenten in anderen EU-Ländern. "80 Prozent greifen, wenn sie die Wahl haben, dann doch zu den billigeren Lebensmitteln."

Bereits 850 Tonnen gerettet

Auch Farbe und Form entscheiden darüber, was mit angebautem Gemüse passiert. "Bananen werden mit Farbkarten kontrolliert, sind sie zu gelb, kommen sie nicht in den Handel, denn sie müssen laut Regelungen mehrere Tage halten", so Bocksrucker. Auch zweifarbige Paprikas bestehen den Prüftest nicht.

"Afreshed" gibt jenem Obst und Gemüse deshalb eine zweite Chance. Zwischen 50 und 70 Betriebe versorgen das Unternehmen wöchentlich mit Ware. "Unser System läuft über Abonnements, aus diesem Grund kaufen wir Anfang jeder Woche immer nur soviel an, wie wir auch verschicken", so der Gründer. Sieben bis zehn Sorten landen in den Boxen, das Gewicht variiert je nach Abo. "850 Tonnen Lebensmittel konnten wir so bereits vor der Mülltonne bewahren, und dennoch ist das nur ein Tropfen auf dem heißen Stein." Denn in den Retterboxen landet ausschließlich Bio-Ware, im konventionellen Bereich sei der Überschuss noch um einiges höher, weiß der Gründer.

"Wunderlinge" bei Billa und Co.

Exoten finden sich in den Retterboxen eher selten. "Wenn sind es Bananen, die ohnehin nach Österreich kommen, weil sie erst bei uns sortiert werden, oder Obst und Gemüse, das in Italien angebaut wurde", sagt Bocksrucker. Faire Preise für die Landwirtschaften sind für das Unternehmen selbstverständlich. "Da wir aus der Primärproduktion, also direkt vom Feld kaufen, bekommen die Landwirte mindestens 80 Prozent vom B-Warenpreis. Auch wenn es schon oft vorkam, dass sie uns die Ware einfach geschenkt hätten."

Die "Afreshed"-Geschäftsführer Bernhard Bocksrucker, Maximilian Welzenbach und Lukas Forsthuber (v.l.n.r.)
Die "Afreshed"-Geschäftsführer Bernhard Bocksrucker, Maximilian Welzenbach und Lukas Forsthuber (v.l.n.r.) © afreshed

In einigen Ketten des Rewe-Konzerns (Billa, Billa Plus, Penny etc.) finden sich unterdessen seit 2013 sogenannte "Wunderlinge" im Gemüse- und Obstregal. "Dabei handelt es sich um Lebensmittel der Handelsklasse 2, die also äußere Makel aufweisen", erklärt Pressesprecher Paul Pöttschacher. Allein 2022 wurden auf diese Weise 5000 Tonnen Lebensmittel gerettet. "Das sind 312 Lkw-Ladungen." Die Auswahl variiert nach Saison und wird stetig erweitert, auch in Deutschland wurden die "Wunderlinge" inzwischen ins Sortiment aufgenommen.

Lebensmittel retten reicht nicht aus

Noch reichen die gesetzten Maßnahmen laut Bocksrucker aber noch lange nicht. "Wir gehen mit der Ressource Lebensmittel immer noch so um, als wäre sie nichts wert." Lebensmittel zu retten, reiche alleine nicht aus. Bessere rechtliche Bedingungen für Landwirte und ein sorgsamerer Umgang mit Lebensmitteln im Haushalt seien ebenso unerlässlich. "Schon zu Hause muss angesetzt werden, die meisten Lebensmittel lassen sich auf irgendeine Weise verarbeiten, sodass sie länger haltbar sind."