30 Jahre lang begleitete die Linzer Ars Electronica die Digitalisierung und Technologisierung von Kunst und Gesellschaft als Seismograph und Vordenker. Auch wenn die gesellschaftliche und mediale Auseinandersetzung damit noch zu Wünschen übrig lässt: Themen wie Online-Überwachung, Urheberrecht, digitaler Aktionismus oder innovative Interfaces sind mit Spielekonsolen, gestylten Alleskönner-Handys und Musik-Tauschbörsen nun endgültig im Mainstream gelandet. Mit dem heute, Dienstag, endenden Festival ist die Ars Electronica daher eine Neuerfindung angegangen. In den Themenkreisen Bio- und Gentechnologie, die sich als entscheidende Zukunfts-Faktoren der "Human Nature" nun zu den Fragen der Technologie gesellen sollen, ist man trotz Rekordzahl von fast 72.500 Festival-Besuchen (2008: 35.900) jedoch bisher nicht richtig angekommen.

Zumindest nicht auf gewohntem Auseinandersetzungs-Niveau: Mit der Bespielung des neuen Ausstellungsraumes im vergrößerten Ars Electronica Center (AEC) hat das Festival zwar einen wahren Publikumsrenner während des EU-Kulturhauptstadtjahres Linz09 geschaffen. Mehr als 180.000 Besucher wurden dort seit Jahresbeginn verzeichnet. Die positive Publikumsresonanz ist "für uns das schönste Geschenk zum 30-Jahre-Jubiläum", sagte Leiter Gerfried Stocker laut Unterlagen bei einer Bilanz-PK am Dienstag.

Doch läuft die Ars Electronica auch Gefahr, einen Teil ihrer weltweiten Einzigartigkeit aufzugeben. Im neuen Raum des AEC werden nun jene Spiel- und Angreif-Stationen zu Themen wie Sinnestäuschungen, Gehirn, Pflanzengenetik oder dem menschlichen Körper geboten, die es in zahlreichen anderen Wissenschafts-Museen vor allem in den USA zuhauf und seit Jahren gibt. Die entscheidenden moralischen oder gesellschaftlichen Fragen, welche die nun möglichen Eingriffe in das Leben mit sich bringen, werden dort jedoch nicht gestellt.

Den Startschuss dazu gab nun das "Human Nature"-Symposium während des Festivals, das wohl weniger als Plattform für innovative Ansätze denn als Annäherung an ein Thema zu sehen war. Die genetische "Verbesserung" des Menschen und seiner Nahrung, Körper-Doping durch Implantate oder innovative Medizin durch nachwachsende Organe - das Bild von der Zukunft der "Human Nature" ist naturgemäß noch vage und wird sich wohl im Laufe der nächsten Jahre so stark ändern wie das einstige Bild vom digitalen Leben. 1979 knarrte "Spa 12" als Eröffnungsredner der allerersten Ars Electronica "Ich bin ein menschlicher Robot". Zum 30er nun präsentierte das Festival mit Hiroshi Ishiguros "Geminoid" einen Gegenentwurf zu den bisherigen Vorstellungen vom autonomen Maschinenmenschen. "Es wird nie künstliche Intelligenz geben, die dem Menschen perfekt gleich kommt", sagt Ishiguro im APA-Gespräch. Daher sieht Ishiguro für Roboter eine ganz andere Aufgabe: "Wir werden alle Roboter haben - als Telepräsenz-Geräte, die uns im sozialen Umfeld vertreten werden. Roboter werden ein neues Informations-Medium wie Handys und Computer."

Die Diskrepanz zwischen dem neuen und dem ureigensten Gebiet der Ars Electronica war heuer greifbar: Die fantastischen Arbeiten der M.I.T.-Studenten in der Kunstuni und ein recht starker Jahrgang beim "Prix Ars Electronica" sowie die facettenreichen Vorträge beim "Cloud Intelligence"-Symposium boten jene Differenziertheit, mit der spannende Neuerungen abgehandelt gehören. Weitere Verdienste des heurigen Festivals: Die politische Dimension des sozialen Webs mit u.a. Bloggern aus China und dem Iran nach Linz zu bringen und den hochspannenden Elektronik-Musiker Alva Noto zu einem Konzert einzuladen.

800 Künstler und Wissenschafter aus 31 Ländern waren bei mehr als 300 Einzelveranstaltungen, hieß es am Dienstag in einer Bilanz des Festivals, 565 Medienvertreter aus 38 Ländern haben dies gecovert. Doch auch heuer wieder zeigte sich in der Rezeption der Ars Electronica, wie lange es noch dauern wird, bis sich nach der "über uns hereingebrochenen digitalen Revolution" (so Leiter Gerfried Stocker) auch das öffentliche Bewusstsein darüber klar sein wird, was für Umwälzungen hier vollzogen wurden. Eigentlich ist es der Festivalleitung zu Gute zu halten, neue Wege einschlagen zu wollen. Doch solange die übriggebliebenen Utopien der Vernetzung, die Erosion bisheriger kultureller Konzepte durch die technische Reproduzierbarkeit jedweder Popkultur, die Warnung vor Aushebelung schwer verdienter Freiheiten durch Online-Überwachung noch allzu rasch als Spinnereien abgetan werden, ist es dafür vielleicht noch zu früh.