Lebwohl: Mögen Sie Mogelpackungen?

Irgendwann war es da - und viele können sich kaum noch daran erinnern, wie es "davor" funktioniert haben soll: das Leben, die zwischenmenschlichen Kontakte, das Einholen von Neuigkeiten. Wie durfte man ohne Facebook überhaupt als vollständiges Individuum durchgehen? Das als sozial verkaufte Netzwerk kann vor allem eines sehr gut: Seinen Usern einreden, dass man es braucht. Dringend. Immer. Eigentlich für nichts - und dann doch für alles. Und man könnte ja doch etwas versäumen, wenn man kein Konto hat! Die Gehirnwäsche mit Breitband-Wirkung, in des Wortes wahrer Bedeutung, war erstaunlich schnell vollzogen. Eine Menge Darstellungsdrang, ein bisschen Voyeurismus und eine großzügige Prise Zeittotschlagen - fertig ist das Menü, das eine Milliarde Menschen bannt. Und am Weg sammelt man sogenannte "Freundschaften" im Hunderterpack.

Was auf Mark Zuckerbergs Seite unermüdlich gepostet wird, pendelt ja nicht selten zwischen völliger Banalität und relativer Eitelkeit. Das echte Leben als Randnotiz, die Wirklichkeit als Mogelpackung - täglich konsumiert hat das durchaus Suchtpotenzial. Facebook ist ein vorgehaltener Zerrspiegel der Realität, ein virtuell verabreichtes Placebo gegen Langeweile. Und (wie man jetzt im Rahmen einer neuen Studie erfahren durfte) auch ein fabelhafter Weg, um Neidgefühle in Menschen wuchern zu lassen. Dass nicht wenige negativ beeinflusst werden von dem, was zu sehen bzw. zu lesen ist, obwohl oder gerade weil es nicht den Tatsachen entspricht - es lässt einen fragen: Missgunst und Selbstzweifel, wie passen sie nun mit dem ach so sozialen Netzwerk zusammen?

Facebook wurde in den letzten Jahren aber (auch) zu einem tauglichen Mittel für Mobbing: Keine Seltenheit im Arbeitsleben, doch Jugendliche, die über das Internet (und hier auch über Facebook) drangsaliert werden, sind besonders wehrlose Opfer. Eine Entwicklung, an deren Ende schon oft genug Selbstmord stand. Eine weitere Schattenseite ist "Grooming" - das Anbahnen von sexuellen Kontakten mit Minderjährigen über soziale Plattformen. "42-jähriger 'Teenager' wollte Nacktfotos von Zwölfjähriger", war da zuletzt nur eine der entsprechenden Schlagzeilen. Natürlich sind das die extremen Fälle, aber das Instrument dafür findet sich heute auf fast jedem Computer und auf fast jedem Handy.

An der Börse verkam Zuckerbergs Kontaktzoo fulminant zum "Flopbook". Möglichkeiten, um Geld in die Kassen zu spülen, sind daher gefragter denn je. Also stellt man sich unter anderem mit einer neuen Suchfunktion mittelfristig dem Duell mit Google. Dass man mit den (vom User bereitwillig preisgegebenen) Informationen lieber jongliert und Geschäfte macht als sie diskret unter Verschluss zu halten, ist eine Antithese zum Datenschutz. Dass die Möglichkeit, sein Konto zu deaktivieren oder zu löschen bestens versteckt ist, wird ebenfalls geschluckt. Solange die Kunden Zuckerberg die Treue halten, wird dieser am unterschwellig diktatorischen Stil wenig bis gar nichts ändern: Ihm "gefällt das".

THOMAS GOLSER

Ich bleibe: Neue Technologie löst alte ab

Irgendwo stand einmal, Facebook sei wie Rauchen.
Anfangs cool, eine Zeit lang lustig und irgendwann nur noch eine nervige Angewohnheit. Das mag manchmal richtig sein. Meistens aber nicht.
Denn Facebook ist nicht schlimmer, als es vor hunderten Jahren der Brief war. Oder vor 150 Jahren das Telefon. Das soziale Netzwerk an sich ist nicht mehr als eine neue Technologie der Kommunikation, die ihre Vorgänger ablöst, weil sie schnelleren Austausch ermöglicht – und obendrein weitere Annehmlichkeiten wie die komfortable Verwaltung der Kontakte, mitsamt Daten, Fotos und allem, was man eben teilen will. Wer das sofort und per se verteufelt, hatte vermutlich auch konservative Ressentiments gegenüber den ersten Handys. Und den Smartphones erst. Oder macht beruflich irgendwas "mit alten Medien" – und hat deshalb eine Heidenangst vor allem, was das Internet so an neuen Möglichkeiten mit sich bringt.

Selbstverständlich: Man kann es übertreiben. Erinnert sich noch jemand an die vielen Geschichten von Jugendlichen, die vor 15 Jahren nahezu lebensbedrohlicher SMS-Sucht verfallen waren? Richtig, die leben alle noch – und kamen sogar darüber hinweg. Niemand muss ständig jeden Gedankengang in eine Statuszeile pressen, digitale Selbstdarstellung betreiben, seiner Meinung nur noch per erhobenen Daumen Ausdruck verleihen und all seine Daten mit der gesamten Weltöffentlichkeit teilen. Idioten gibt´s überall, im Netz kann man sie aber wenigstens blockieren und ausblenden. Wer das Portal (und andere soziale Netze) mit dem kleinsten bisschen Vernunft bedient, kommuniziert auf zeitgemäße, praktische und schnelle Weise mit seinen Freunden, Bekannten und der Familie. Überall auf der Welt, ohne ein Vermögen für exorbitante Telefonrechnungen zu bezahlen. Ganz nebenbei gibt's noch die Neuigkeiten über die liebste TV-Serie, den eben entdeckten Thriller-Autor oder die Rockband des Vertrauens. Klingt doch nicht so schlecht.

Aber: Da wäre noch der Haken mit dem Datenschutz und den biegsamen Einstellungsmöglichkeiten, die Gretchenfrage in Sachen Facebook. In der Tat: Vorsicht ist geboten – doch im Regelfall reicht auch hier eine sorgfältige Überlegung, welche Daten man zugänglich macht und was man für die Vorteile von Facebook preisgibt – und regelmäßige Kontrolle der ständig wandelbaren Einstellungen. Denn im Endeffekt verdient Facebook mit Werbung, die auf uns zugeschnitten wird, weil unser Nutzungsverhalten beobachtet wird – nichts anderes als Google oder Amazon. Man müsste auch dort aussteigen, um nicht der digitalen Heuchlerei zu verfallen.

Wenn Facebook schon dem Rauchen gleichgesetzt wird, dann verhält es sich mit seinen Gegnern bisweilen wie mit Ex-Rauchern.
Denn genau wie sloche werden auch Facebook-Aussteiger oder militante Verweigerer gerne zu Aufmerksamkeits-Junkies, die das Thema Facebook (auch in den Medien) ständig neu aufkommen lassen. Die Nutzergemeinde geht doch auch nicht ständig mit den Vorzügen des sozialen Netzwerks hausieren. Wer nicht mitmachen will, fein – aber bitte jetzt keine Belehrungen. Wir können selbst entscheiden. Denn gerne hat diese Gruppe nur irgendwo anders im Web ihre Zelte aufgeschlagen und sieht es als missionarische Pflicht, jedem auf die Nase zu binden, für wie unnötig sie Facebook und deren Nutzer doch halten – und wie viel besser es ihnen jetzt doch erginge. Damit nerven sie jetzt wohl deshalb, weil sie es ja nicht mehr auf Facebook mit der Welt teilen können.

SEBASTIAN KRAUSE