"Ich habe Niemanden", steht auf einem weißen Kärtchen, das eine Mädchenhand in die Kamera hält. Zitternd legt sie die Karte zur Seite und es kommt die nächste im Stapel zum Vorschein: "Ich brauche jemanden". Darunter hat die 15-Jährige einen traurig schauenden Smiley gemalt. Dann folgt die nächste: "Mein Name ist Amanda Todd".

Neunminütiger Hilfeschrei

Es ist ein neunminütiger Hilfeschrei einer 15-Jährigen, für die das Internetmobbing durch Mitschüler zur Todesfalle wurde. In der siebten Klasse fing sie an, zu chatten. Dabei trifft sie auf Männer, die Komplimente machen. Einer bittet sie um ein Nacktfoto. Todd schickt es unbedarft per Mail. Der Mann schickt es weiter an ihre ganze Schule und lädt es bei Facebook hoch, erpresst sie.

Ihre Mitschüler hänseln sie, werden gewalttätig, rufen ihr zu: "Merkst Du nicht, dass Dich hier niemand mag". Sie wechselt mehrmals die Schule, doch die Attacken hören nicht auf, genauso wenig wie sie das Foto löschen kann. Todd nimmt Drogen, ritzt sich die Arme auf. Ein Suizidversuch mit Bleichmittel scheitert, es folgt weiterer Hohn. Der zweite am 10. Oktober gelingt ihr.

Seither ist die Betroffenheit in ihrer Heimat Kanada und weltweit im Internet riesengroß. Millionen Menschen haben sich in sozialen Netzwerken zusammengeschlossen, trauern und diskutieren über Cybermobbing und den leichtfertigen Umgang von Heranwachsenden im Internet. Eltern wirken in ihren Beiträgen dabei besonders hilflos - nicht nur deshalb, weil ihnen der Fall Todd zeigt, dass auch ihr Kind davon betroffen sein könnte und sie oftmals keine Ahnung davon haben, was im Internet wirklich geschieht.

Ein wachsendes Problem

Cybermobbing gilt weltweit als wachsendes Problem, auch weil einer Studie der EU zufolge das Alter der Kinder, die Zugang zum Internet haben, sinkt. Einen eigenen Straftatbestand stellt Cybermobbing in den EU-Ländern nicht dar. Dabei wurde mindestens jedes dritte Kind laut einer Studie im Netz belästigt. Auch die Zahl der dramatisch endenden Fälle nimmt zu.

Noch nie hat ein Mobbingopfer jedoch seine Leidensgeschichte so öffentlich gezeigt. Tatsächlich deuten andere Betroffene in den Trauerforen nun auch ihr eigenes Schicksal an. Die Premierministerin von British Columbia, Christy Clark, forderte deshalb eine öffentliche Debatte über Cybermobbing. Und auch die Hackergruppe Anonymus hat sich auf ihre Weise eingeschaltet.

Sie macht Jagd auf Amandas Peiniger: "Wir werden nicht vergeben, wir werden nicht vergessen. Wir wissen, was Du getan hast und wir sind immer da".