Der Wind streicht über die Hügel des Pössnitzbergs in der Südsteiermark. Im Frühling ist er oft empfindlich kalt. In Erwin Sabathis Weingarten regt sich kein Lüftchen. Er liegt geschützt hinter einem Hügelkamm. Seit sich das Meer vor mehr als zwölf Millionen Jahren zurückgezogen hat, nagen andere Kräfte an der Landschaft, formen sie, lassen sie je nach Bodenbeschaffenheit schroffer oder weicher aussehen.
Am Pössnitzberg ist der Boden aus Opok, Kalkmergel, und so hart, dass ihn kaum etwas bewegen kann. Deshalb zählt die südlichste Riede der Steiermark auch zu den steilsten in Österreich.
Und hier, auf rund 500 Meter Seehöhe, gedeiht ein Wein, der schon so viele Bestnoten abgeräumt hat, dass einem schwindlig werden könnte. Schwindlig wird einem dann auch, wenn man den Weingarten betritt, in dem der Sauvignon blancRied Pössnitzberg „Alte Reben“ wächst.
Steil wie die Streif
Unweigerlich stemmt man die Füße fest in den Boden. Wenn man nur Wurzeln hätte, wie ein Weinstock. Erwin Sabathi steht fest im Steilhang, zupft an einer dürren Rinde und deutet bergab.
30 Hektar unseres Weinguts haben mehr als 50 Prozent Steigung. Hier sind es fast 75 Prozent, ähnlich der Streif in Kitzbühel.
So lehnt man also im Hang, bemüht, nicht abzurutschen, und vermag sich kaum vorzustellen, wie hier sommers wie winters gearbeitet wird. Wie man bergauf kraxelt, mit dem Werkzeug in der Hand. Keine Erntemaschine, kein Traktor kann hier etwas ausrichten. Alles passiert von Hand.
Es steckt beinharte Arbeit dahinter. Ob es regnet oder die Sonne im rechten Winkel bei 35 Grad in den Hang brennt – wir müssen unseren Zyklus einhalten.
Der Rebschnitt muss gemacht werden, auch wenn es schneit.
Aber es gibt nichts Schöneres, als in der Natur zu sein. Bei Vogelgezwitscher loszuarbeiten. Das gibt mir Kraft.
Büroarbeit betrachtet Erwin Sabathi als Pflichtübung.
Ich bin im Weingarten aufgewachsen, das ist meine Welt.
Sooft er kann, ist er draußen in der Natur. Gräser, Kräuter und Blüten sorgen schon jetzt für frisches Grün zwischen den Rebstöcken. Die zeigen erst in Ansätzen, dass Leben in ihnen steckt. Kaum zu glauben, dass den mageren braunen Trieben jedes Jahr das Rebmaterial für einen Weltklassewein entwächst. Was es jetzt dazu braucht, erklärt Sabathi mit drei Wörtern.
Ein Schäuferl Kompost.
Mit beiden Händen greift er in das nährstoffreiche, natürliche Gemisch. Dutzende Regenwürmer ringeln sich darin. Sie sind nicht die einzigen tierischen Mitarbeiter, auf die der Weinbauer setzt. In ein paar Tagen werden Bergschafe die Mäharbeiten im Weingarten übernehmen. Mit dem Jahrgang 2019 sind die Weingärten dann auch biozertifiziert.
Das steht für mich nicht im Vordergrund. Meine Weine spiegeln die Herkunft wider. Das gelingt nur, wenn es wenige Fremdeinflüsse gibt – ein Faktor ist der Mensch. Die Natur ist ungezähmt. Ich selbst kann bestimmen, ob ich die Reben mit biologischen oder mit chemischen Präparaten schütze. Wenn die Reben mit Kunstdünger gefüttert werden, gelangt die Energie des Bodens nicht in den Wein.
So schmeckt Herkunft
Herkunft, das bedeutet herauszuschmecken, wo und wie der Wein wächst. Das Wechselspiel aus kalten Nächten und oft heißen Tagen am Pössnitzberg. Der karge und doch lebendige Boden, der dem Sauvignon wunderbar kernige Untertöne verleiht, wie so manchen Weinen der alten Weinwelt. Eine lebendige, saftige Säure herauszuarbeiten und Weine von Tiefe zu schaffen.
Ein Sauvignon schmeckt nicht üppig nach Maracuja oder Mango. Er hat etwas zutiefst Heimisches. Feuersteinnoten, Wiesen- und Bergkräuter, Holunderblüten, Stachelbeeren, rote und schwarze Ribisel, ...
Die Schatten am Pössnitzberg werden länger. Sabathi tippt mit dem Fuß auf den Boden.
Ich will, dass die Trauben die Energie des Bodens einfangen und dass sie bis zum letzten Schluck zu spüren ist.
Birgit Pichler