Ein Glas Wein, ein weiteres, noch eines. Schließlich ist die Flasche leer. Passiert das einmal, wird sich kaum jemand etwas dabei denken. Wiederholt sich diese Art von Alkoholkonsum regelmäßig, werden auch nahestehende Personen hellhörig. Denn, dass Alkohol auch Probleme verursachen kann, ist bekannt. Greift man aber regelmäßig zu Schlaf- oder Beruhigungsmitteln, ertönen kaum Alarmglocken. Wer weiß schon genau, welche Medikamente der Vater oder die Schwester einnehmen muss? Und ob man eine Tablette oder vier zu sich nimmt, fällt im Normfall auch nicht auf. "Aus diesem Grund spricht man auch oft von der stillen Sucht", sagt Suchtexperte Domenic Schnoz.

Medikamente und Alkohol sind jene Substanzen, welche bei Sucht im Alter (ab 65 Jahren) die maßgeblichen Rollen spielen. "Vor allem in der Gruppe der ab 50-jährigen Männer nimmt der problematische Alkoholkonsum im Alter zu", erklärt Psychologin und Psychotherapeutin Tanja Hoff. Tendenziell sind bei Frauen im fortgeschrittenen Alter eher Medikamente das Problem.

Personen, die mit Substanzmissbrauch im Alter zu kämpfen haben, kann man zwei Gruppen zuordnen. Zum einen sind das die "Early-onset"-Patientinnen und -Patienten. Diese haben schon im früheren Erwachsenenalter bzw. im Verlauf ihres bisherigen Lebens Probleme mit Substanzkonsum entwickelt. Dieser wird dann im höheren Alter fortgeführt. "Wir gehen davon aus, dass das etwa zwei Drittel der Personen sind, die Suchtprobleme im Alter haben", erklärt Expertin Hoff.

Die Pensionierung als kritischer Moment

Bei "Late-onset"-Patienten entwickelt sich das Substanzkonsumproblem erstmals im Alter. In beiden Fällen spielen sogenannte kritische Übergänge eine wichtige Rolle. Ein solches Ereignis ist häufig die Pensionierung. Der Wegfall des Berufes geht für viele mit Rollenverlust einher, hinzukommen der Wegfall der sozialen Kontrolle sowie der Tagesstruktur. Oder anders gesagt: Es fällt nicht mehr so schnell auf, wenn ich bis zehn Uhr schlafe, weil ich am Vortag zu viel getrunken habe. "Auch altersspezifische Faktoren können zu einem Suchtproblem führen", erklärt Hoff. "Denken wir an Krankheit, Invalidität oder schwindende Mobilität".

Die Nebenwirkungen von Alkoholmissbrauch bzw. von Medikamenten ähneln gewissen Alterserscheinungen, etwa Vergesslichkeit, oder dass man öfter hinfällt, weil man nicht mehr so sicher auf den Beinen ist. Das macht es für Angehörige schwieriger, das Problem zur erkennen.

Wie kann man betroffene Personen unterstützen? "Hinschauen und ansprechen", rät Schnoz. "Sagen Sie, was Ihnen auffällt. Kommunizieren Sie, dass Sie zuhören und bereit sind, zu helfen. Und machen Sie der Person keine Vorwürfe." Häufig wird die erste Ansprache nicht zum Erfolg führen. "Versuchen Sie es immer wieder, steter Tropfen höhlt den Stein."
Die Behandlung, die therapeutische Methodik ändert sich auch bei älteren Personen nicht. "Es ändern sich die Themengebiete, die in der Therapie bearbeitet werden müssen", erklärt Hoff. "Verlust, Trauer, Abschied nehmen einen größeren Raum ein, auch Konflikte zwischen den Generationen." Für viele sei etwa der Kontakt zu ihren Enkelkindern Motivation, mit einer Therapie zu beginnen.

Hoff gibt zu bedenken, dass Substanzmissbrauch bestehende gesundheitliche Probleme verstärken kann. "Man könnte sagen, dass das Glas Alkohol für einen älteren Menschen schädlicher ist als für einen gesunden 15-Jährigen." Man kann vorbeugen. Etwa, indem man sich schon vor der Pension neue Lebensinhalte sucht. "Es gibt sehr viele Bereiche, in denen man sich engagieren kann und Gemeinschaft findet", rät Schnoz.