Ein riesiger Datensatz einer Intensivstation und ein lernender Algorithmus: Forscher der ETH Zürich und des Universitätsspitals Bern haben ein System entwickelt, das kritisches Kreislaufversagen bei Intensivpatienten mehrere Stunden im Voraus erkennt, wie die beiden Institutionen am Montag in einer Aussendung mitteilten.
Auf der Intensivstation liefern Messgeräte fortlaufend eine Fülle von Daten über die Vitalwerte eines Patienten. Aus diesen Werten und anderen medizinisch relevanten Informationen zum Patienten die weitere Entwicklung oder auch gefährliche Veränderungen abzuleiten, braucht Zeit und Erfahrung. Ärztinnen und Pfleger sollen dabei künftig Unterstützung durch Algorithmen bekommen.
Trefferquote von 90 Prozent
Forscher um Gunnar Rätsch und Karsten Borgwardt von der ETH Zürich haben einen umfangreichen Datensatz des Insel- und Universitätsspitals Bern und Methoden des maschinellen Lernens verwendet, um ein Frühwarnsystem für kritisches Kreislaufversagen zu schaffen. Die Universitätsklinik für Intensivmedizin des Inselspitals sammelt seit 2005 unter Einwilligung der Patienten detaillierte und zeitlich hochaufgelöste Daten in anonymisierter Form. Dieser Datensatz von 36.000 Aufenthalten auf der Intensivstation bildete die Grundlage für die Entwicklung und den Test des Frühwarnsystems.
Die entwickelten Algorithmen und Modelle konnten im Datensatz 90 Prozent der Fälle von Kreislaufversagen vorhersagen, erklärte Rätsch. In 82 Prozent der Fälle gelang die Vorhersage mindestens zwei Stunden im Voraus, was - bei einem künftigen Einsatz im Spital - dem Personal Zeit für Gegenmaßnahmen geben würde. Von ihren Ergebnissen berichten die Forschenden im Fachjournal "Nature Medicine".
Dabei reichte für die Vorhersage auch nur ein Bruchteil der eigentlich verfügbaren medizinischen Informationen. Bereits 20 Messgrößen reichten aus, darunter unter anderem Blutdruck, Puls, verschiedene Blutwerte, Alter und verabreichte Medikamente, wie Borgwardt ausführte.
Ein Ziel der Forschungsarbeit ist auch, Fehlalarme auf der Intensivstation zu reduzieren und das Personal nur bei drohenden Komplikationen präzise und frühzeitig zu alarmieren. Für den tatsächlichen Einsatz im Klinikalltag brauche es jedoch weitere Entwicklung. Ein erster Prototyp soll sich nun in klinischen Studien beweisen.