Der 14. Februar 2014 war der Tag, an dem Sabine Spitz erfuhr, dass sie Brustkrebs hat. Aber nicht nur das: Sie erfuhr ebenfalls, dass sie nicht wie so viele andere Brustkrebspatienten wieder gesund werden würde. Nein, Sabine Spitz' Brustkrebs hatte bereits Tochtergeschwüre (medizinisch Metastasen) gebildet. Sie sitzen wie kleine Knötchen entlang ihrer Knochen, vom Brustbein bis zu den Oberschenkeln. Sabine Spitz weiß, dass sie nicht mehr gesund werden wird. Aber sie weiß auch: „Jetzt sterbe ich noch nicht!“
Frau Spitz, wie ging es Ihnen nach der Diagnose?
Sabine Spitz: Bei der Diagnose war ich verzweifelt. Mein Arzt hat sofort gesagt, das wird eine chronische Erkrankung. Und er hat auch gesagt: „Sie leben auf jeden Fall noch ein Zeiterl.“ Im ersten Schock wollte ich von ihm eine Zahl hören: Von welcher Zeitspanne sprechen wir? Monate? Jahre? Ein Jahrzehnt? Doch seine Botschaft war immer: Wir wissen es nicht, wir können es nicht wissen.
Wie sind Sie mit dieser Botschaft umgegangen?
Spitz: Meine erste Reaktion war, dass ich sieben Stunden im Bett gelegen bin und geheult habe. Doch dann war für mich nur wichtig, zu wissen: Ja, ich habe noch Zeit, Zeit, mit der Diagnose umzugehen, Zeit, zu verschnaufen. Ich sterbe noch nicht morgen.
Wie ging es dann weiter?
Spitz: Ich habe einen hormonabhängigen Brustkrebs. Zuerst hatte ich ein schlechtes Gewissen, weil ich vier oder fünf Jahre nicht bei der Mammografie war. Ich ging damals nur zur Untersuchung, weil ich eine Hauteinziehung auf der Brust hatte. Der erste Schritt war die Operation: Ich wollte das, weil ich das Bild vor Augen hatte, dass in meiner Brust die „Schaltzentrale“ des Tumors ist. Die wollte ich ausschalten. Ich habe mich gegen einen Wiederaufbau entschieden, ich wollte keine Baustellen mehr im Körper.
Brauchten Sie auch eine Chemotherapie?
Spitz: Nein, meine Krebszellen würden nicht auf Chemotherapie ansprechen. Ich ging zur Bestrahlung und bekomme eine Hormontherapie, die mich in den künstlichen Wechsel versetzt hat. Heute nehme ich ein Medikament pro Tag und bekomme einmal im Monat zwei Spritzen. Außerdem gehe ich alle sechs bis neun Wochen zum Bluttest und alle paar Monate zur Computertomografie.
Werden diese Kontrolluntersuchungen zur Routine?
Spitz: Ich zittere noch immer. Ich musste mich ja auch erst daran gewöhnen, dass ich Krebspatientin bin. Jedes Mal, wenn ich ins Krankenhaus gekommen bin, habe ich mich vor dem Wort Onkologie erschrocken. Ich musste mir sagen: Ja, ich bin jetzt Krebspatientin. Mein Arzt hat gesagt, er kann vollkommen verstehen, wie absurd das für mich sein muss: Ich habe mich gesund gefühlt, und plötzlich habe ich diese Diagnose. Mit diesem Wahnsinn muss man erst umgehen lernen.
Wie gehen Sie heute mit der Diagnose um?
Spitz: Heute sage ich: Es ist, was es ist. Es ist weder vollkommen schrecklich noch ist es völlig harmlos. Es wird nicht lustig, wenn sich die Krankheit irgendwann verschlechtert, was passieren wird. Aber im Moment bin ich stabil. Ich könnte aber kein normales Berufsleben mehr führen, dazu fehlt mir die Kraft.
Wenn man Sie trifft, würde man nicht denken, dass Sie unheilbar krank sind: Sie sehen gesund aus, wirken sehr positiv. Müssen Sie sich oft erklären?
Spitz: Eine Kollegin wollte mich trösten und hat zu mir gesagt: „Du bist ja nicht die Einzige, es gibt ja auch andere hier, die das geschafft haben.“ Ich habe ihr erklärt, dass die anderen aber keinen metastasierten Krebs haben und nach fünf Jahren als geheilt gelten. Mein Krebs ist aber nicht heilbar. Da hat sie geschluckt.
Wie schränkt Sie die Erkrankung im Alltag ein?
Spitz: Es gibt Frauen, die arbeiten gehen - die haben meine Hochachtung, aber die meisten schaffen es nicht. Ich hätte meinen Job als klinische Psychologin nicht mehr machen können, da die Medikamente zu Aussetzern im Gehirn führen. Ich habe Wortfindungsstörungen und Gedächtnisausfälle. Es ist ein anderes Leben, ich bin wesentlich langsamer und schnell erschöpft.
Haben Sie bewusst Dinge in Ihrem Leben geändert?
Spitz: Ich habe begonnen, Dinge zu tun, die ich lange nicht gemacht habe. Singen ist eine Sache, mit der ich wieder anfangen will, weil mir das Spaß macht. Auch bei Freunden hat sich die Spreu vom Weizen getrennt: Jene, bei denen immer ich mich melden musste, haben keinen Platz mehr.
Ist die Erkrankung denn immer präsent?
Spitz: Sie ist präsent, aber im Hintergrund. Ich bin trotzdem ein positiver Mensch. Ich weiß, da sind bösartige Zellen in meinem Körper, die ich nicht mehr loswerde. Und ich weiß, dass ich eines Tages daran versterben werde - aber nicht jetzt!
Sonja Saurugger