Treffpunkt Psychiatrie - dort liegen die beiden Frauen in einem Zimmer, die eine ist 36 Jahre alt, die andere 42. Ihre Diagnose: Panikattacken, Angststörungen, Depressionen. Die Schwestern rollen die Wägen mit dem Abendessen durch die Gänge in den Speisesaal. Draußen ist es bereits finster.

"Sollen wir uns in ein Cafe setzen?", frage ich. Beide verneinen. Menschenmengen ängstigen sie. Wir bleiben im Besuchszimmer. Eine Frau ist gestern entlassen worden. Die andere muss noch bleiben. Im Interview erzählen sie mir von ihrer Krankheit. Offen und detailliert. Sie lachen auch viel. Sind optimistisch. Ihrem Wunsch nach Anonymität kommen wir nach - und nennen sie Frau A und Frau B.

Frau A: Es ist aus heiterem Himmel gekommen, im Juni 2008. Ich habe hyperventiliert, mit Krämpfen. bin mit der Rettung ins Krankenhaus gebracht worden. Ich habe nicht gewusst, was mit mir passiert. Dort haben sie mir erklärt, ich solle in ein Sackerl atmen. Entdeckt haben sie nichts. Die Angst davor, dass das wiederkommt, ist geblieben. Die Ängste haben sich weiter entwickelt. Bis es im September zu einem Vorfall in der Arbeit gekommen ist - Kribbeln in den Händen, ein Knoten im Hals, ich habe gedacht: So, das ist jetzt ein Herzinfarkt. Genauso hat sich das angefühlt. Wieder ins Krankenhaus gefahren. Diagnose: Panikattacken. Ab dann hat sich's intensiviert, ich habe Angst vor allem entwickelt. Angst vor Menschenmengen, vor engen Räumen, vor dem Alleinsein, Angst vor der Angst. Wovor ich Angst hatte, konnte ich nicht mehr definieren. Bis sich das zur Depression gesteigert hat, weil ich nicht mehr aus dem Haus bin. Und wenn, bin ich ums Haus geschlichen wie ein Mauserl. Die Attacken erschöpfen einen.

Frau B: Meine erste Panikattacke liegt neun Jahre zurück. Plötzlich, mitten in der Nacht, bin ich aufgewacht, habe Symptome wie bei einem Kreislaufkollaps gehabt. Ich habe zuerst gedacht, es ist einer. Mein Mann hat mich ins Krankenhaus geführt. Dort haben sie auch nichts gefunden. Ich habe viel gelesen, mich damit beschäftigt, irgendwann war es klar - das müssen Panikattacken sein. Ich war dann in psychologischer Betreuung. Dann war lange Zeit, jahrelang, eine Ruh'. Bis es wieder los gegangen ist. Es gab einzelne Vorfälle, in der Summe war es zu viel. Als ich wieder einmal ins Krankenhaus gekommen bin, habe ich plötzlich extreme Ängste bekommen. Bin rein und hatte sofort eine Panikattacke.

Ist die Angst dauernd da?
Frau A: Schlimmer als die Panikattacken sind die Ängste, die einen dauernd begleiten, einem im Nacken sitzen. Ein ständiges Gefühl von Beklommenheit in der Brust, Verspannungen im Rücken, als ob einem die Last aufsitzt.
Frau B: Eine Panikattacke ist schlimm, aber absehbar. Die dauert wenige Minuten bis eine Viertelstunde, hat einen Gipfel und verschwindet wieder. Ich brauche zwar immer mehrere Stunden bis ich mich danach wieder beruhigt habe, aber das kriegt man relativ leicht in den Griff. Schlimmer ist die Unsicherheit, die Beklemmung, jene Momente, in denen man eigentlich unterbeschäftigt ist, darauf wartet, dass etwas passiert. Dann kommt die Angst. Und damit auch, dass man es sich selbst und den anderen nicht erklären kann. Angst. Was heißt das schon. Wovor hast du Angst, fragen dann viele. Und du kannst das schwer erklären. Die anderen verstehen das nicht wirklich. Plötzlich ist sie da. Hinzu kommt, dass das in der Gesellschaft nach wie vor tabu ist.

Frau A: Was mir sehr geholfen hat, ist der Kontakt zu anderen Patienten. "Gott sei Dank!", hab ich mir gedacht, du bist ja gar nicht alleine damit. Da gibt es Menschen, die Ähnliches durchleben.
Frau B: Man lässt sich medizinisch durchchecken, zig Tests. Und keiner hat etwas gefunden. Im Grunde passt alles. Und die Ärzte kommen auf die Psyche zurück.

Frau A: Ja, Herz-Untersuchung, Magenspiegelung, etc. "Kann's nicht sein, dass es die Psyche ist?" haben alle gefragt.
Frau B: Die Psyche? Das darf nicht sein. Diese Meinung ist noch weit verbreitet. Da könnte man selber Mitschuld haben - und mehr. Ich selber habe kein Problem, es mir einzugestehen. Die anderen Menschen sind ängstlicher. Ich habe ganz starke soziale Ängste. Fing an, Kontakte zu vermeiden.
Frau A: Mein Auto war mein größter Feind. Ich könnte ja eine Attacke während des Autofahrens bekommen. Schlimm waren Supermärkte. Dort musste ich nämlich noch fahren, vier Minuten brauche ich dorthin pro Strecke. Aber zwei Stunden davor bin ich schon im Wohnzimmer gesessen und mich gefragt: Wann fahre ich? Ich habe dauernd meinen Mann aus der Arbeit geholt, weil ich nichts mehr geschafft habe. Krankenstand. Ewig. Anrufe aus dem Büro: Wann kommst du wieder? Was darauf sagen? Ich konnte ja nicht antworten: In einer Woche bin ich wieder gesund.
Frau B: Ja, und die Angst erschöpft irgendwann und endet schließlich dann in einer Depression.

Größte Erfolge?
Frau A: Als ich das erste Mal im Shopping-Center war.
Frau B: Ich bin stolz, dass ich's durchgehalten habe. Ich schmiede wieder Pläne. Ein Zeichen, dass ich gesund werde. Was ich mir wünsche? Wieder einen normalen Alltag zu haben.
Frau A: Ich möchte Gitarrespielen lernen.