Ab welchem Alter macht es Sinn, seinem Kind zu sagen, dass die Mama Krebs hat?
ELISABETH FANDLER: Ab dem dritten, vierten Lebensjahr etwa. Dann beginnen Kinder zu fragen - und erwarten Antworten. Und was machen viele Eltern? Sie wollen ihre Kinder so gut wie möglich schützen, denken sich "Das versteht das Kind doch nicht", tun so, als ob es ihnen gut gehe. Sagen, wenn sie zur Chemo müssen: "Ich gehe zum Zahnarzt."

Funktioniert diese Taktik?
FANDLER: Nein. Kinder spüren sofort, wenn etwas nicht stimmt und haben Angst. Das führt zu eigenen Vermutungen, die mit der Realität oft nichts zu tun haben. Der lieb gemeinte Schutz der Eltern schürt in Wahrheit nur noch mehr Ängste.

Also lieber offen darüber reden?
FANDLER: Ja, offen und ehrlich Auskunft zu geben, ist immer sinnvoll. Außer, wenn die Diagnose noch nicht feststeht und nur eine Vermutung im Raum steht.

Wie erklärt man es ihnen? "Die Mama ist krank" reicht wohl nicht.
FANDLER: Das ist ein guter Anfang. Man könnte ergänzen: Deswegen muss sie ins Krankenhaus, Medikamente nehmen, die sie müde machen, deswegen kann sie nicht mehr arbeiten.

Können Kinder Krankheiten wie Krebs überhaupt fassen?
FANDLER: Kinder haben einen anderen Umgang damit. Einen, der im Gegensatz zu Erwachsenen viel alltäglicher und realistischer ist. Kindergarten- und Volksschulkinder zum Beispiel haben noch kein zeitliches Konzept von der Zukunft. Sie leben in der Gegenwart. Daher ist ihr Konzept von Trauer ein anderes.

Wie trauern sie?
FANDLER: Ich nenne Ihnen ein Beispiel: Da ist ein achtjähriger Bub, dessen Vater, zu dem er eine innige Beziehung gehabt hat, bei einem Verkehrsunfall stirbt. Wenige Tage nachher sagt der Sohn zur Mutter: "Jetzt können wir den Kasten vom Papa ausräumen." Die Mutter ist geschockt. Das ist kein Zeichen fehlender Emotionen, sondern ein anderes Trauer-Konzept.

Wie viel soll man von einer Krankheit erzählen?
FANDLER: Faustregel: Fragen beantworten. Und zwar in dem Moment, in dem die Frage kommt. Einem Fünfjährigen zu erklären, dass die Mama nur noch wenige Monate zu leben hat, hat keinen Sinn. Ein solches Konzept von Endgültigkeit haben Kinder erst ab etwa zehn Jahren.

Jemand liegt schwer verletzt im Krankenhaus. Soll man Kinder dorthin mitnehmen?
FANDLER: Das kommt drauf an: Wie eng ist die Beziehung? Wie geht es dem Kind? In der Regel verkraften Kinder den Anblick von Schläuchen etc. ganz gut, weil sie die Dinge eher so nehmen, wie sie sind, neuen Situationen mit Neugier begegnen und fragen: Wofür sind die Schläuche da?

Körperliche Gebrechen sind für das Kind eher fassbar. Aber wie erklärt man eine Demenz?
FANDLER: Etwa mit "Der Opa vergisst viel. Das macht eine Krankheit mit ihm. Er wird dich immer wieder dasselbe fragen."