Werden Antidepressiva abgesetzt, kann es zu unangenehmen Symptomen kommen: Schwindel, Übelkeit oder Schlafstörungen werden zum Beispiel beschrieben. Nun gibt es erstmals eine große Meta-Analyse zu der Frage, wie häufig diese Beschwerden tatsächlich sind. Es zeigt sich: Etwa 15 Prozent, also etwa jede sechste bis siebte Person verspürt tatsächlich Absetzsymptome, wenn Antidepressiva nicht mehr eingenommen werden. Untersucht wurden die Daten von über 20.000 Personen aus 79 Studien. Bei der Teilnehmenden handelt es sich um Personen, die an einer psychischen Störung, einer Verhaltensstörung oder einer neurologischen Entwicklungsstörung leiden.

Eine Schwierigkeit bei der Erforschung von Absetzsymptomen sind sogenannte Nocebo-Effekte – das bedeutet so viel, wie: Ich erwarte das Schlechte. Während der Placebo-Effekt eine positive Auswirkung einer Scheinbehandlung beschreibt, tritt beim Nocebo-Effekt eine negative Auswirkung auf. Dies resultiert aus der Erwartungshaltung auf ein bestimmtes Ereignis – in diesem Fall die Erwartungshaltung, dass das Absetzen des Antidepressivums unangenehme Symptome mit sich bringt. In der aktuellen Studie sollten eben diese Fälle rausgerechnet werden.

Antidepressiva machen nicht abhängig

Wie sind nun aber die Ergebnisse der Studie zu bewerten? „Eigentlich ist die Grundaussage der Studie, dass der Anteil der betroffenen Patientinnen und Patienten relativ gering ist und Antidepressiva nicht abhängig machen“, sagt Katharina Domschke
Ärztliche Direktorin der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Universitätsklinikum Freiburg. Sie unterstreicht auch, dass es sich nicht um Entzugssymptome wie bei Alkohol oder Beruhigungsmitteln wie Benzodiazepinen handle, sondern um Absetzsymptome, wie sie auch bei dem Absetzen von anderen Medikamenten wie Cortison oder Blutdruckmitteln vorkommen können. 

Das unterstreicht auch Eva Reininghaus, Vorständin der Universitätsklinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie Graz: „Immer, wenn ich ein Medikament länger einnehme, bewirkt das etwas in meinem Körper, in meinem Gehirn. So können auch Symptome auftreten, wenn ich ein Medikament wieder weglasse.“ Antidepressiva greifen in komplexe Stoffwechsel-Prozesse im Gehirn ein, daher könne es bis zum Einsetzen der Wirkung einige Tage dauern – und die Prozesse im Gehirn müssen sich erst wieder einpendeln, wenn die Medikamente abgesetzt werden. Der große Unterschied zwischen solchen Absetzsymtomen und echten Entzugserscheinungen sei: Entzugserscheinungen, wie bei einem Drogenentzug, können lebensbedrohlich sein. Absetzsymptome bei Medikamenten hingegen können zwar sehr unangenehm sein, aber für den Betroffenen gesundheitlich nicht gefährlich, erklärt Reininghaus.

Ausschleichen, statt abrupt absetzen!

Um Symptome möglichst zu verhindern, sollen Antidepressiva nicht plötzlich und abrupt, sondern langsam und schrittweise abgesetzt werden – so, wie es in der Praxis ohnehin meist passiere. Ausschleichen nennt man diesen Prozess, bei dem die Dosis schrittweise reduziert werde. Gleichzeitig muss auch beobachtet werden, ob die Symptome der behandelten Erkrankung, also einer Depression oder einer Angststörung wieder auftauchen. „Ich kann Antidepressiva wieder absetzen, wichtig ist nur, es langsam zu tun“, sagt Psychiaterin Reininghaus. Und Erich Seifritz von der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich unterstreicht: „Das langsame Ausschleichen verhindert in der klinischen Praxis bei den meisten Patienten und Patientinnen Absetzphänomene.“

Rund um das Thema Antidepressiva gebe es ohnehin schon viele Vorurteile und Ängste – daher sei Aufklärungsarbeit, aber auch ein wohlüberlegter Einsatz so wichtig. „Trotz der nicht selten auftretenden Absetz-Phänomene leisten Antidepressiva einen unverändert wichtigen Beitrag zur Behandlung depressiver Störungen. Voraussetzung ist allerdings, dass sie nicht leichtfertig eingesetzt werden“, erklärt dazu Klaus Lieb, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Universitätsmedizin Mainz.