„Das ist einfach eine geniale Sache“, sagt Karin Grossauer. Die geniale Sache, von der die Grazer Kinder- und Jugendfachärztin spricht, ist der Eltern-Kind-Pass (früher: Mutter-Kind-Pass). Dieser wurde 1974 eingeführt und feiert heuer sein 50-jähriges Bestehen. Und das gelbe Büchlein hat sich für die Gesundheit von Kindern bewährt. Ein Ziel war unter anderem die Senkung der Säuglingssterblichkeit. Und dieses wurde schnell erreicht: Bereits fünf Jahre nach der Einführung sank die Säuglingssterblichkeit in Österreich um rund 40 Prozent. Dieser Trend setzte sich weiter fortgesetzt: 2008 lag die Säuglingssterblichkeit bei 3,7 Promille, heute bei 2,4 Promille. Und auch auf die Müttersterblichkeit wirkt sich der Eltern-Kind-Pass auf: Laut Ärztekammer sind vor der Einführung 36 Frauen pro Jahr bei der Geburt gestorben, heute beläuft sich diese Zahl auf 2,3 Fälle pro Jahr.

Schon während der Schwangerschaft werden Untersuchungen im Rahmen des Eltern-Kind-Passes durchgeführt, ab der Geburt gibt es ein engmaschiges Netz an Untersuchungen, das mit der letzten Kontrolle, die zwischen dem 58. und 62. Lebensmonat (also rund um den 5. Geburtstag) zu absolvieren ist, vollendet ist. „Wir haben nach der wirklich guten Versorgung bis zum Schulalter eine Lücke von 13 Jahren, diese müssen wir füllen“, sagt Grossauer.

Eine der wichtigsten Phasen des Lebens

Denn kostenfreie Vorsorgeuntersuchungen gibt es erst wieder ab dem Alter von 18 Jahren. Dabei tut sich in diesen 13 Jahren enorm viel. Pubertät, das Heranwachsen vom Kind zum Erwachsenen – das nicht nur körperlich durch Wachstumsschübe, sondern auch psychisch zu einer Herausforderung werden kann. „Es ist eine der wichtigsten Phasen im Leben, in der sich der ganze Körper umstellt und wir haben null Vorsorge-Angebot für diese Kinder“, sagt auch Peter Fritsch, Facharzt für Kinder- und Jugendheilkunde mit eigener Ordination in Graz.

Grossauer versucht, die Familien zu motivieren, zumindest einmal im Jahr mit den Kindern zum Check-up zu kommen. „Wir kennen unsere Kinder ja sehr gut. Wir wissen, in welche Richtung man nachfragen muss, wo es mehr Unterstützungsbedarf gibt.“ Ein wichtiges Thema sind auch Impfungen bzw. Auffrischungen. Viele dieser Auffrischungen fallen in den Bereich, der zeitlich nicht mehr vom Eltern-Kind-Pass abgedeckt wird. Etwa die Auffrischung der Kombi-Impfung Diphtherie, Wundstarrkrampf, Kinderlähmung und Keuchhusten mit sechs und dann wieder im Alter von 15, 16 Jahren. Und auch Informationen zu anderen Impfstoffen, wie etwa gegen HPV erreichen die Familien nicht in ausreichendem Ausmaß. „Wenn die Eltern aber regelmäßig kommen, zeigt sich, dass in unserer Ordination 95 Prozent der Eltern die HPV-Impfung für ihre Kinder annehmen“, sagt Fritsch.

Gesundheitsminister sieht Nachholbedarf

Aus diesem Grund plädiert die Gesellschaft für Kinder und Jugendheilkunde für einen Ausbau des Angebots. „Der Eltern-Kind-Pass ist ein wichtiges präventives Tool – nicht nur was das Erkennen, sondern auch was das Verhindern von Erkrankungen betrifft“, sagt deren Generalsekretär Reinhold Kerbl. Er würde sich bis zum 18. Lebensjahr jährliche Kontrolluntersuchungen im Rahmen des Eltern-Kind-Passes wünschen. Die Gespräche mit dem Gesundheitsministerium dazu laufen. Minister Johannes Rauch (Grüne) sieht ebenfalls Nachholbedarf in der Vorsorge. „Jede Ausweitung muss aber auch ins Gesamtkonzept passen und finanzierbar sein.“

Rauch verweist auf die Neuerungen, die seit Jänner 2024 schrittweise umgesetzt werden, etwa die Digitalisierung des Eltern-Kind-Passes. Bis 2026 wird der Leistungsumfang ausgebaut werden, dies betrifft aber vor allem Schwangere und Neugeborene. Aktuell laufen Gespräche, um die schulärztlichen Untersuchungen zu modernisieren. „Das zweite wichtige Thema ist Fehlernährung, Übergewicht und Adipositas. Hier müssen wir betroffenen Familien Unterstützung bieten.“ Aktuell sind all diese Ideen in Vorbereitung und werden sich wohl in dieser Legislaturperiode nicht mehr auf Schiene bringen lassen.

Kinderarzt Fritsch skizziert ein mögliches Szenario, so es denn zu einem Ausbau des Eltern-Kind-Passes kommen sollte: „Sinnvoll wäre eine Untersuchung mit sechs, sieben Jahren, eine weitere mit neun, zehn, wo man sich ansieht, welche Bedürfnisse es gibt, ob in Sachen Ernährung und Bewegung alles klar ist und wie es mit dem Medienkonsum aussieht. Eine letzte Untersuchung könnte es dann so um die 14 Jahre geben, bei der man auch zusätzlich auf Alkohol und Drogenkonsum eingeht.“

Ein Schwerpunkt sollte, neben Ernährung und Bewegung, auf die psychische Gesundheit gelegt werden, gerade bei Untersuchungen von älteren Kindern. Einerseits geht es dabei um eine Enttabuisierung psychischer Erkrankungen, Kindern und Jugendlichen soll niederschwellig vermittelt werden, dass es gut und richtig ist, sich Hilfe zu holen. Andererseits soll auch der Medienkonsum und die Auswirkungen sozialer Medien auf die Psyche thematisiert werden. „Soziale Medien waren vor 15 Jahren noch kein so großes Thema, wir müssen in unserer Medizin und der Gesundheitsvorsorge modern bleiben“, sagt Fritsch.