Die Anzeichen. Ein Kind tut sich schwer, sich an Regeln zu halten, länger bei einer Sache zu bleiben, sich in eine Gruppe zu integrieren: Das können die ersten Anzeichen für ADHS sein, die meist zuerst im Kindergarten auffallen. „Im Kindergarten sind Kinder erstmals in einer großen Gruppe, da gibt es jede Menge Ablenkung“, erklärt Thomas Trabi, Abteilungsvorstand der Kinder- und Jugendpsychiatrie am Klinikum Klagenfurt. Schon im Kindergartenalter sei es sinnvoll, eine psychologische Untersuchung zu machen – denn so können betroffene Kinder von Anfang an unterstützt werden.

Der Geschlechter-Unterschied. Generell gibt es laut Trabi „viel mehr Burschen mit einer ADHS-Diagnose als Mädchen“. Das liege zum Teil daran, dass sich das Syndrom bei Mädchen nicht so zeige wie bei Buben: „Der große Bewegungsdrang ist bei Burschen deutlich ausgeprägter als bei Mädchen.“ Dadurch wird ADHS bei Mädchen oft erst erkannt, wenn sich bereits Folgeerkrankungen wie depressive Symptome zeigen: „Betroffenen Mädchen fällt es sehr schwer, sich zu konzentrieren – in der Schule brauchen sie für jede Aufgabe mehr Energie, haben aber weniger Erfolgserlebnisse als Mitschüler. Das frustriert!“, sagt Trabi. Die Folge können depressive Reaktionen und sozialer Rückzug sein.

Die Häufigkeit. Bekommen zu viele Kinder die Diagnose ADHS, nur um sie mit Medikamenten „ruhigstellen“ zu können? In der öffentlichen Diskussion wird dieser Vorwurf immer wieder laut. Trabi entgegnet: „Die Zeit der Überdiagnosen ist vorbei.“ Es habe tatsächlich einen Gipfel an Diagnosen vor etwa zehn Jahren gegeben – in den letzten Jahren sei die Häufigkeit aber stabil, und das weltweit. „Wir haben nun einen verlässlichen Diagnose-Prozess“, sagt Trabi. Rund 5,8 Prozent aller Kinder sind von ADHS betroffen.

Die Diagnose. „Bei ADHS ist eine sorgfältige Diagnose sehr wichtig“, sagt Trabi – vor allem müssten alle anderen möglichen Ursachen für Konzentrationsstörungen ausgeschlossen werden. Jede Form von Belastung könne dazu führen, dass man sich schlechter auf eine Sache fokussieren kann. „Gerade Kinder, die in einem belastenden, gar traumatisierenden Umfeld aufwachsen, haben auch Konzentrationsprobleme oder zeigen aggressives Verhalten“, erklärt der Psychiater. Daher sei es wichtig, andere Ursachen auszuschließen, bevor man sagen könne: Das ist ADHS.

Thomas Trabi, Kinder- und Jugendpsychiater
Thomas Trabi, Kinder- und Jugendpsychiater © Kabeg

Die Therapie. Die wichtigste Behandlung von ADHS bei Kindern ist die Verhaltenstherapie: Betroffene Kinder lernen, ihre Aufmerksamkeit besser zu fokussieren. Aber auch ihr Umfeld aus Eltern und Erziehern wird geschult, denn: „Kinder mit ADHS brauchen gut strukturierte Tage mit Arbeitseinheiten und Pausen“, erklärt Trabi. ADHS sei aber eine der wenigen Erkrankungen in der Kinder- und Jugendpsychiatrie, die man gut medikamentös behandeln kann: „Wir haben einige Medikamente zur Verfügung, die sehr gut wirken und ihren schlechten Ruf zu Unrecht haben“, sagt Trabi. Die Medikamente stärken, vereinfacht gesagt, jenen Bereich im Gehirn, der bei ADHS-Betroffenen zu wenig aktiv ist – das ist jenes Gehirnareal, in dem Aufmerksamkeitssteuerung, Handlungsplanung oder Impulskontrolle liegen.

Die Nebenwirkungen. Wie jedes Medikament können auch ADHS-Medikamente Nebenwirkungen haben. Trabi nennt hier verminderten Appetit, der auftreten kann – wenn Kinder durch die Medikamente abnehmen, müsse der behandelnde Arzt entscheiden, ob man das Medikament wechselt oder weglässt. Auch sollen Kinder durch Medikamente keinesfalls „betäubt“ werden – „unser Ziel ist es, die Entwicklung optimal zu fördern“, sagt Trabi. Die richtige Dosisfindung sei zentral. Andere, befürchtete Nebenwirkungen gebe es aber einfach nicht: „ADHS-Medikamente machen nicht süchtig“, unterstreicht Trabi – ganz im Gegenteil: Eine unbehandelte ADHS sei ein großer Risikofaktor dafür, als Jugendlicher eine Sucht zu entwickeln. „Betroffene versuchen durch Drogen oder Alkohol ihre innere Unruhe zu bekämpfen“, erklärt Trabi.

Die Prognose. Grundsätzlich werde die Impulskontrolle im Zuge des Erwachsenwerdens besser: „Die Pubertät kann hier ein echter Gamechanger sein“, sagt Trabi. Gleichzeitig lernen die Betroffenen auch immer besser, mit ihren Symptomen umzugehen. Daher sei bei etwa einem Drittel der Betroffenen auch im Erwachsenenalter noch eine Therapie notwendig, bei gut zwei Drittel nicht mehr.