Erziehungscamps. Das wäre - neben Sicherheitsdetektoren und Personenkontrollen - die adäquate Antwort auf gewaltbereite Jugendliche an Wiener Schulen, zumindest wenn es nach Wiens Vizebürgermeister Dominik Nepp (FP) geht. Er bezieht sich damit auf eine Reihe von Vorfällen in Wiener Schulen, die von Handgreiflichkeiten über sexuelle Übergriffe bis zu Messerstechereien reichte.

Obwohl der Vorschlag bei den anderen Parteien auf breite Ablehnung stößt, spiegelt er eine Tendenz in Erziehungsfragen wider, die derzeit um sich greift: die Forderung nach mehr Strenge und Härte im Umgang mit Kindern und Jugendlichen. In Deutschland beispielsweise sorgte vergangenen Herbst die Kino-Doku „Elternschule“ für breit geführte Diskussionen dieses Themas. Der Film porträtiert den Alltag in der Kinder- und Jugendklinik Gelsenkirchen, in die erschöpfte Eltern mit ihrem Nachwuchs - unter anderem Schreikinder, Essensverweigerer, schlaflose oder aggressive Kinder - kommen. Die Interventionen und Methoden, mit denen den Kindern „geholfen“ wird - teils in Form von Zwang, Trennung, Bestrafung - kategorisierte der Deutsche Kinderschutzbund als „psychische und physische Gewalt“. Zugleich propagieren aber auch TV-Formate wie die Kabel-1-Serie „Die strengsten Eltern der Welt“ mehr Strenge als Erfolgsweg in der Erziehung junger Menschen.

Schonräume werden geschlossen

Ist das denn so? Müssen Eltern tatsächlich wieder mehr Strenge walten lassen? „Diese Forderung kommt in Wellen immer wieder“, beobachtet Kinderarzt und Autor vieler Elternratgeberbücher, Herbert Renz-Polster. „Immer, wenn sich Zukunfts- und Abstiegsängste in der Gesellschaft verstärken, ist die erste Reaktion, die Schonräume für Kinder zu schließen. Man will sie dadurch sozusagen für die Härte des Lebens wappnen.“ Es seien immer zwei Pole, die die Fragen einer guten Kindererziehung verhandeln: „Der positive Ansatz heißt: Vertrauen und Anerkennung. Der negative heißt: Macht und Kontrolle.“ Beide Ansätze aber begründen ihre Haltung gleich, nämlich als etwas Positives für die Entwicklung des jungen Menschen. Auch der Begriff der Liebe für die Kinder werde dabei je nach Standpunkt ausgelegt. Renz-Polster: „Diese Denkweise liegt etwa auch dem Film ,Elternschule' zugrunde. Man stellt die Methoden als liebevoll-konsequent dar.“


Wenn also sowohl die harte als auch die weichere Erziehung eine gute Entwicklung des Kindes zum Ziel haben: Kommt dasselbe dabei heraus? „Nein“, sagt der Experte, „nach über 100 Jahren Entwicklungspsychologie wissen wir einfach: Kinder, die hart, ohne Vertrauen, Sicherheit und Feinfühligkeit erzogen werden, werden gehässig, gemein und im Grunde nicht gesellschaftsfähig.“ Wer zum Gehorsam erzogen wird, sei nicht frei, sondern fremdgesteuert. Renz-Polsters Erfahrung nach teilen Kinder, die problematisch sind, eine gemeinsame Erfahrung: „Sie werden von ihren Eltern nicht klug und gütig behandelt.“

Zu wenig Unterstützung für Eltern

Sollte man dann nicht eher bei den Eltern ansetzen und gar nicht bei den Kindern? „Tatsächlich ist das soziale Bindegewebe heute sehr schwach. Eltern erfahren oft zu wenig Unterstützung, zu wenig Beziehungssicherheit und zugleich zu viel Lebensstress.“ Eltern wären oft selbst schutzlos, ungesichert und nicht anerkannt, „insofern ist es wichtig, durch ressourcenorientierte Angebote die Sicherheit und Anerkennung der Eltern zu stärken.“ Als Beispiel nennt der Experte geführte Gruppenerfahrungen in geschützten Räumen - wie beispielsweise Selbsthilfegruppen. Das setzt freilich voraus, dass die Überforderung zu gegebener Zeit erkannt wird.

Menschen sind keine Tiere