Sind sie ein Fluch? Oder doch ein Segen? Noch haben wir keine Antwort auf die Frage, ob Smartphones, Tablets und all die anderen technischen Errungenschaften, die uns jeden Tag rund um die Uhr und fast überall auf dieser Welt die Türen in die digitale Welt öffnen, unser Dasein bereichern. Oder nicht.

„Unser Umgang damit ist ambivalent, noch stehen wir wie die staunenden Wilden davor, tippen es mit den Fingern an und wundern uns, was dieses Ding alles kann“, beschreibt die Psychotherapeutin Martina Leibovici-Mühlberger unsere Haltung gegenüber digitalen Kommunikationsmitteln.

Während wir also noch über die Technik staunen, übersehen wir, dass wir keine adäquaten Spielregeln im Umgang damit haben. Wir bemerken nicht, dass die Allgegenwärtigkeit dieser Geräte längst psychische und sozialpsychologische Auswirkungen hat, vor allem auf das Leben unserer Kinder. Wie diese Technologie auf die Entwicklung der Jüngsten wirkt, ist für die ältere Generation kaum nachvollziehbar, denn diese Geräte waren in der Phase der eigenen Identitätsfindung noch nicht präsent.

Einfluss auf Identitätsfindung

„Wenn ältere Erwachsene ein Bild auf einem sozialen Medium posten, dann tun es die wenigsten, um damit Likes zu sammeln. Somit hat die Anzahl der Likes auch keine Wirkung auf ihr Selbstbewusstsein“, erklärt die Psychotherapeutin. Ein 25-Jähriger hat hingegen schon viele Informationen über sich aus dem Posten von Fotos bezogen, ein Teil seiner Identität gründet sich auf die digitalen Rückmeldungen zu seinen Postings. Wobei die Durchsetzung in der Generation der 25- bis 30-Jährigen noch nicht so stark sei, „auch in dieser Generation gibt es oft noch andere Quellen, die in die Identitätsfindung miteingeflossen sind.“

Anders ist das bei den heute 14-Jährigen und Jüngeren, die schon als Zweijährige von den Teletubbies unterhalten wurden, ab dem sechsten Lebensjahr regelmäßig am Computer gespielt haben und in der vierten Klasse Volksschule ihr erstes Smartphone hatten. „Diese Generation ist hauptsächlich in der virtuellen Welt verortet und das wirkt sich natürlich viel stärker auf die Identitätsbildung aus“, betont die Therapeutin.

Dass diese Generation fast von Geburt an in der digitalen Welt zu Hause ist, bestätigen auch die neuesten Zahlen: Demnach ist gut die Hälfte der Achtjährigen (55 Prozent) online, 37 Prozent davon sogar mehrfach in der Woche oder täglich. Bei den Sechsjährigen ist mit einem Anteil von 28 Prozent bereits fast ein Drittel zum Teil regelmäßig im Netz unterwegs - und selbst bei den Dreijährigen ist es jedes zehnte Kind.

Motorische Unruhe und Schlafstörungen

Die drastischen Folgen von zu viel Medienkonsum bei Kindern sehen Leibovici-Mühlberger und ihre Kollegen regelmäßig in der Sprechstunde. „Motorische Unruhe, Konzentrationsschwäche, Schlafstörungen und Übergewicht“, zählt sie auf. Und: „Dass bei uns in Wien 30 Prozent der Volksschulkinder nicht rückwärts gehen können, ist nur eine Auswirkung davon. Dass Sechsjährige keine Schuhbänder binden, aber ein Smartphone bedienen können, sehen wir immer öfter.“ Kinder, die vor der Spielkonsole sitzen, statt auf Bäume zu klettern und mit Freunden Fußball zu spielen, haben motorische und kognitive Defizite, „denn diese Geräte wirken längst auch auf unsere Hardware“, formuliert es die Medizinerin.

Bewusst sollte uns auch sein, dass diese Medien stark meinungsbildend und von einer unwahrscheinlichen Geschwindigkeit durchsetzt seien, warnt sie. Das Problem: Auf vielen Plattformen gibt es keine Möglichkeit, Themen differenziert zu diskutieren, es existiert nur gut oder böse, positiv oder negativ, dafür oder dagegen. Es fehlen die Nuancen und damit fehlt den jungen Nutzern die Möglichkeit, differenziertes Denken zu erlernen. „Umso wichtiger ist es, den Kindern zu vermitteln, dass die virtuelle Welt nicht die ganze Welt ist, denn die Kinder sind nicht in der Lage, einem Smartphone den richtigen Stellenwert beizumessen.“

Wie also kann man Kinder den richtigen Umgang mit digitalen Kommunikationsmitteln lehren? „Indem man diese Technologie auf keinen Fall verteufelt. Stattdessen muss man den Jungen klarmachen, dass diese Geräte Werkzeuge sind, die wir dann verwenden, wenn wir sie brauchen, und ihnen erklären, dass die virtuelle Welt auch ein gefährlicher Ort sein kann“, empfiehlt die Psychotherapeutin. Kinder können dann verantwortungsbewusste und reflektierte Nutzer werden, wenn sie begleitet und schrittweise herangeführt werden. Dabei gilt: „Vor dem zweiten Lebensjahr braucht ein Kind diese Medien nicht, denn in dieser Zeit steht die Sprachbildung im Vordergrund - und die digitalen Medien fördern die Sprache nicht“, betont die Expertin.

Kinder langsam heranführen

Noch bevor sie in Kontakt mit Smartphones, Computern und Spielekonsolen kommen, müssen sie möglichst viele sinnliche Erfahrungen wie Riechen, Schmecken oder Fühlen sammeln. Nach dem zweiten Geburtstag kann das langsame Heranführen beginnen, stufenweise, mit klaren Regeln und einem strengen Zeitlimit, das sich langsam steigern sollte und mit maximal zwei Stunden pro Tag begrenzt sein sollte. „Das gilt bis ins jugendliche Alter.“ Wobei die Zeit, in der Hausübungen mit dem Computer zu erledigen seien, nicht zu dieser Rechnung zählt.

Was Eltern nie vergessen sollten: Kinder sind nicht in der Lage, sich selbst zu beschränken. „Dazu ist das Bildschirmmedium in seiner Präsenz zu mächtig. Deswegen ist es wichtig, dass die Kontrolle tatsächlich funktioniert.“ Was nicht sein sollte: Smartphone oder Konsole als Belohnung für die Erfüllung einer Pflicht einzusetzen. „Wenn das Kind die Hausaufgaben schneller erledigt, ist das kein Grund, es die restliche Zeit am Computer spielen zu lassen“, rät die Erziehungsberaterin. Ebenso wenig taugt ein Handy dafür, ein quengeliges Kind ruhigzustellen. Denn dabei lernen die Kleinen: Wenn ich quengelig bin, werde ich unterhalten.

Gefordert sind die Eltern im Umgang mit der digitalen Welt aber nicht nur als Begleiter ihres Kindes, sondern auch als Vorbild. Denn unsere Spezies lernt nun einmal vorzugsweise über die Imitation. „Ein Vater, der das Wochenende damit zubringt, vor der Spielkonsole zu sitzen, oder eine Mutter, die stundenlang im Internet nach Schnäppchen sucht, darf sich nicht beschweren, wenn die eigenen Kinder, sooft es geht, auf ihre Smartphones starren.“