VATER: Liebe Sophie, kannst du dich noch erinnern, es ist 20 Jahre her, als jeden Sonntag die ganze Familie Wienerschnitzel mit Erdäpfelsalat gegessen hat? Einmal habe ich sie abgezählt, es waren 21. Das Kochen war sehr einfach im Vergleich zu heute. Denn von den elf Fleischessern sind nur noch drei übrig, zwei sind Vegetarier geworden und sechs ernähren sich vegan. Dabei hast du, glaube ich, eine entscheidende Rolle gespielt. Was hat dich bewogen, vegan zu leben?

TOCHTER: An meinem siebenten Geburtstag habe ich beschlossen, keine Schweine mehr zu essen, weil sie meine Lieblingstiere sind, ein Jahr später wurde ich Vegetarierin. Seit der sechsten Klasse im Gymnasium, als ich mehr davon erfahren habe, wie negativ sich die übermäßige Produktion tierischer Nahrungsmittel auf unsere Umwelt auswirkt, lebe ich vegan. Ich bin der Mama und dir sehr dankbar, dass ihr mich nicht daran gehindert habt.

VATER: Mit deinen Brüdern, die sich anfangs über deine ausgeprägte Tierliebe lustig gemacht haben, hattest du es nicht immer ganz leicht …

TOCHTER: Ja, aber ihre kleinen Provokationen habe ich längst vergessen. Ich freue mich jedenfalls sehr, dass sie heute mit einer Ausnahme alle überzeugte Veganer sind.

VATER: Aber du wirst immer noch, oft von wildfremden Menschen, darauf angesprochen, warum du kein Fleisch, keine Milchprodukte, keine Eier und keinen Honig isst. Ist dir das lästig?

TOCHTER: Ja, weil ich umgekehrt auch nicht frage, warum sie immer noch Fleisch essen und Milch trinken.

VATER: Seit Ostern des letzten Jahres haben wir drei Hennen: Huberta, Hildegard und Henriette. Sie schlafen in einem prächtigen Stall, fressen natürliches Futter und sind, soweit ich das beurteilen kann, sehr glücklich. Trotzdem isst du keines ihrer Eier.

TOCHTER: Für mich ist das unnatürlich. Eier sind eigentlich nicht zum Verzehr da, sondern damit Küken aus ihnen schlüpfen. Genauso wie Kühe Milch geben, damit ihr Kalb damit ernährt wird. Wir aber füttern die Kälber mit Milchersatz, damit wir Joghurt und Schlagrahm haben. Das ist wider die Natur.

VATER: Für mich ist ein veganes Bratwürstel oder Cordon bleu unnatürlich. Wenn vegan, dann auch kein Fleischersatz aus Erbsen und Sojagranulat.

TOCHTER: Warum stört dich das? Die Entwicklung der Lebensmittelindustrie geht weiter, unsere Landwirtschaft muss umdenken. Klima und Tierwohl sollten im Vordergrund stehen, nicht die Steigerung der Produktion. Jedes Jahr werden immer noch Milliarden Hühner und Schweine unter grausamsten Bedingungen gezüchtet und getötet. Glaub mir, Papa, ich weiß, wovon ich rede, ich habe ein Praktikum im Schlachthof machen müssen.

VATER: Und was sagst du einem Biobauern, der seine Tiere artgerecht groß werden lässt?

Die Familie Hofmann-Wellenhof trifft sich regelmäßig am Wochenende zum Familienessen
Die Familie Hofmann-Wellenhof trifft sich regelmäßig am Wochenende zum Familienessen © (c) KLZ/Nadja Fuchs

TOCHTER: Gegen einen Selbstversorger-Bauernhof ist nichts einzuwenden. Im Übrigen bewirken 100.000 Menschen, die nur ein Mal in der Woche Fleisch essen, viel mehr als 100, die sich zu hundert Prozent vegan ernähren.

VATER: Entschuldige, aber manchmal gehst du mir mit deiner Tierliebe etwas zu weit. Zum Beispiel, wenn du mit deinem entzückenden, aber riesigen Hund Luis das Bett teilst und dich minutenlang abschlecken lässt. Für mich gibt es immer noch einen Unterschied zwischen Tier und Mensch.

TOCHTER: Jane Goodall formuliert es so: „Auf der Welt leben Menschen und andere Tiere.“ Für mich gibt es zwischen ihnen mehr Verbindendes als Trennendes. Tiere leiden wie Menschen, auch Tiere können weinen, glaube ich, und trotzdem haben viele nur Mitleid mit den Menschen und mit den Tieren nicht. Findest du das nicht sehr ungerecht?

VATER: Doch, wenn man es so betrachtet. Ich bewundere jedenfalls deine Konsequenz, die mir leider fehlt. Und ein veganes Fleischlaiberl oder eine vegane Eierspeis schmecken mir einfach nicht.

TOCHTER: Für mich steht das Leben eines Tieres immer über meinem persönlichen Genuss. Außerdem können sich Essgewohnheiten ändern. Vieles wird mit Tradition gerechtfertigt. „Es war immer schon so“ ist jedoch ein schlechtes Argument.

VATER: Ist es gesund, fleischlos zu leben? Mein Internist, der auch ein Ernährungsinstitut betreibt, sagt, dass ein Schweinsbraten pro Woche den Selenspeicher nicht abfallen lässt. Veganer benötigen doch Zusatzprodukte?

TOCHTER: Mein jährliches Blutbild zeigt an, dass ich mich ausgewogen ernähre. Ich kann eine nicht-vegane Lebensweise einfach mit meinem Gewissen nicht vereinbaren. Mein Ziel ist es, so wenig Schaden wie möglich zu verursachen, auf dem Planeten und in meinem Körper. Ich will mit mir im Reinen sein.

VATER: Im Gegensatz zu dir habe ich oft ein schlechtes Gewissen, wenn ich aus Bequemlichkeit immer noch gedankenlos in die Kühlregale greife. Aber wer weiß, vielleicht kommt noch die Zeit, in der es bei uns nur mehr ein Sonntagsmenü gibt, und zwar ein veganes.

TOCHTER: Ja, das wünsche ich mir. Und dass wir vielleicht einmal in einer Welt leben, in der auch Tiere Rechte haben, in der Massentierhaltung verboten ist, weil wir Menschen eingesehen haben, dass Schweine nicht auf die Welt kommen, nur um als Schlachtvieh zu enden. Ich möchte gerne in einer Welt leben, in der kein Tierarzt im Schlachthof gebraucht wird, weil es keinen Schlachthof mehr gibt. Und ich möchte in einer Welt leben, in der es ganz normal ist, dass Tiere unsere Mitgeschöpfe sind, die ein Recht haben, glücklich zu leben. Sie brauchen ja nicht viel: Sie wollen den Regen, die Sonne und den Wind spüren wie wir – und keine Angst haben.