Am Wochenende haben wir oft meine Großeltern besucht, jene väterlicherseits lebten in Leobersdorf, jene mütterlicherseits in Reichenau an der Rax. Politik war stets Diskussionsthema, wir waren eine sehr politische Familie. Mitgeschwungen ist immer die Geschichte meines Opas väterlicherseits, der ein politischer Gefangener in Dachau war. Meine Oma hat die Angst, die sie um ihn hatte, nie überwunden, das habe ich gespürt. Als der Opa aus dem Krieg beziehungsweise aus der russischen Gefangenschaft heimgekommen ist, konnte sie ihn heben – so dünn war er. Das konnte ich mir nicht vorstellen, weil er viel größer war als sie. Ich weiß nicht, ob das stimmt, aber so hat sie es erzählt. Sie hat nie mit mir über ihre Entbehrungen oder Kränkungen gesprochen. Als sie gestorben ist, habe ich erkannt, dass das stark nachhallte – in meinem Vater, meiner Mutter, in mir. Ich bin das einzige Kind und das einzige Enkelkind.
Ich war also die Einzige dieser Generation, die darüber nachdenken konnte. Und ich habe viel über meinen Opa nachgedacht, der 1990 gestorben ist. Es prägte die Stimmung innerhalb unserer Familie. Man hat es gewusst, aber wenig darüber gesprochen. Es war einfach so. Der Opa war im KZ, der andere Opa war im Krieg, vermisst. Dieser Krieg war für alle prägend. Mir war immer klar, dass ich ein riesiges Glück habe, in Frieden aufzuwachsen. Mein Opa hat nicht gehadert. Für ihn war es wichtig, ein positiver Mensch zu bleiben, das Gute zu sehen. Das klingt vielleicht platt, aber wenn jemand erlebt hat, was er erlebt hat, ist das ein hoher Wert. Meine Eltern haben mir auch mitgegeben: Wenn man gestritten hat, versöhnt man sich. Und: Sie hatten beide die Möglichkeit, eine höhere Schule zu besuchen, zu maturieren. Ich habe gelernt, dass Bildung nichts Selbstverständliches ist, es einen aber weiterbringt.
Meine Mutter war in den 1950ern ein Teenager, das war eine ganz andere Zeit. Sie hat sich nach meiner Geburt entschieden, bei mir zu Hause zu bleiben. Das war prägend für mich, andererseits war sie von meinem Vater abhängig. Ich wollte nie von jemandem abhängig sein. Ich wünsche mir das auch für meine fast neunjährige Tochter. Ich möchte nicht, dass sie glaubt, etwas nicht zu können, weil sie ein Mädchen ist. Ich versuche ihr zu vermitteln, dass das Geschlecht in ihrem Werdegang überhaupt keine Rolle spielt. Sie kann zum Beispiel wirklich sehr gut rechnen. Manchmal sagt sie aber, sie kann das nicht. Und ich glaube, sie sagt das, weil das für Mädchen eher untypisch ist und sie sich das daher nicht zutraut. Das macht mich ganz narrisch, ich tue alles, um ihr das auszureden.