In Erhebungen der WHO zur Gewalt an Schulen landet Österreich beständig im internationalen Spitzenfeld. Dabei gäbe erwiesenermaßen wirksame Methoden, um Bullying zurückzudrängen. Die Umsetzung scheitere hierzulande aber an den Rahmenbedingungen des Bildungssystems und dem Mangel an Unterstützung, sagte die Bildungspsychologin Christiane Spiel am Dienstagabend bei einer Diskussion in Wien.
Das in den periodischen Befragungen unter Schülern der WHO gezeichnete Bild der erlebten Gewalt an Schulen lasse sich erstaunlicherweise aber nur durch sehr wenige repräsentative Studien aus Österreich ergänzen, so Spiel im Rahmen der Veranstaltung mit dem Titel "Mobbing, Gewalt und Wertekonflikt: Schulpsychologie hilft!" des Berufsverbandes Österreichischer Psychologen (BÖP). Bullying habe es im Schulbereich selbstverständlich immer gegeben, seine Erscheinungsform verändere sich allerdings: So werden Social Media und Co als "neues Instrument der Gewalt" verstärkt eingesetzt.
Aus Wissenschaft und Praxis gebe es viele Erfolgsbeispiele, wie diesen im Grunde altbekannten Phänomenen vor allem auf Schulebene und im besten Fall unter Einbeziehung der Eltern begegnet werden kann. Die Umsetzung hapere jedoch gewaltig, so Spiel. Das liege auch am österreichischen Schulsystem mit seinen stark verteilten Zuständigkeiten und dem notorischen Mangel an Unterstützung seitens Schulsozialarbeitern oder Behörden wie den Jugendämtern. Außerdem gebe es "viel zu wenige Schulpsychologen", sagte die Wissenschafterin.
Es sei erstaunlich, dass gerade Österreich "eines der Länder mit der geringsten Unterstützungskultur" ist, so der Landesreferent für Schulpsychologie und Bildungsberatung in der Steiermark, Josef Zollneritsch. Die Nachfrage sei jedenfalls groß: Hätten sich früher etwa Gymnasien noch vermehrt gegen eigene Schulpsychologen ausgesprochen, würde sich mittlerweile jedes steirische Gymnasium einen solchen im Haus wünschen. Die Realität sehe aber anders aus.
Um Problemen mit Gewalt und Wertekonflikten besser zu begegnen, brauche es "grundlegende Veränderungen" im System, das immer noch wenig darauf ausgelegt sei, den sozialen Zusammenhalt zu fördern. So habe man etwa in Schottland erkannt, dass Kinder länger an den Schulen sein sollten und es eigene Unterstützungspersonen an den Standorten brauche, die sich speziell um den Kontakt zu den Familien kümmern, sagte Zollneritsch.
Obwohl es Gewalt natürlich immer gegeben habe, komme man bei Maßnahmen dagegen heutzutage "als Lehrer oft nicht mehr an die Familien heran", sagte die Buchautorin und Lehrerin Susanne Wiesinger ("Kulturkampf im Klassenzimmer") vor allem in Bezug auf Schüler mit muslimisch geprägtem Hintergrund. Es brauche etwa in Ballungsräumen mehr Unterstützung durch für Schulen "greifbare" Teams aus Psychologen, Sozialarbeitern, Kulturvermittlern und Dolmetschern. Gerade Familien, die man etwa aufgrund von Sprachbarrieren schwer erreiche, "gehen nicht in den Stadtschulrat zur Beratung", betonte Wiesinger.
Gerhard Krötzl, im Bildungsministerium u.a. für Schulpsychologie und Bildungsberatung zuständig, wies darauf hin, dass bereits einige Verbesserungen auf dem Weg seien. So habe es beispielsweise die Schulsozialarbeit vor rund 20 Jahren noch gar nicht gegeben. Krötzl verspricht sich einige Verbesserungen von den Änderungen im Zusammenhang mit der Bildungsreform - nicht ohne damit ein Raunen im Publikum zu ernten. Die ab Beginn des kommenden Jahres eingerichteten Bildungsdirektionen würden das Potenzial bieten, die Zusammenarbeit im Schulsystem auf regionaler Ebene zu fördern.