Am 3. Mai wurde der bislang einzige Gast an Bord mit allen Ehren verabschiedet. Nachdem er zwölf Tage und Nächte Kabel durchgebissen, Bücher angeknabbert, Kot- und Urinspuren quer durchs Unterdeck hinterlassen und die gebastelten Fallen geschickt leer gefressen hatte, war Schluss mit lustig und die Ratte tot. Ferdl, wie der blinde unliebsame Passagier liebevoll getauft wurde, bekam ein echtes Seemannsbegräbnis. Danach waren Christian Schiester und Daniela Bärnthaler wieder alleine auf der „El Toro“.
18 Meter lang ist das Segelboot, das den beiden Obersteirern seit Anfang Oktober als Zuhause dient. Von Griechenland aus sind sie damals zu einer auf sieben Jahre anberaumten Weltreise aufgebrochen.
Zwei Personen. Ein Boot. Tausende Quadratkilometer Ozean. Und doch kein Platz. Denn die Bewegungsfreiheit an Bord ist sehr beschränkt. Eigentlich nicht vorhanden. 24 Stunden pro Tag, sieben Tage die Woche, monatelang leben Schiester und Bärnthaler auf knapp 90 Quadratmetern. „Du kannst nicht davonlaufen, wenn es dir zu viel ist“, sagt Christian Schiester. Ausgerechnet er. Jahrelang lieferte er als Extremläufer durch Urwälder, Wüsten und die Antarktis Schlagzeilen für Geschichten, die von Weite erzählten. Das aktuelle Abenteuer zwingt ihn in ein recht enges Gehege - auch wenn das Meer rundherum unendlich wirkt. Hineinspringen? „Sicher nicht, ich hupf ja nicht in ein Wasser, das dreitausend Meter tief ist und wo du nie weißt, welche Fische gerade Hunger haben“, scherzt Schiester.
Wie sich die beiden Weltumsegler selbst sehen - und den jeweils anderen (getrennt voneinander befragt):
So bleibt es ein Leben auf permanenter Tuchfühlung. Eine Sonderprüfung für jede Beziehung.
Wie sie gelingt? „Das Geheimnis ist wohl, dass es hier draußen nur uns beide gibt“, glaubt Bärnthaler. Keine Kinder, die etwas wollen, keine Familienmitglieder, die sich einmischen, keine Freunde, die ablenken. „Nur wir beide - und wir sind aufeinander angewiesen.“ Nie Streit? „Wenn, dann geht es in heiklen Situationen nur bei segeltechnischen Fragen lauter zu“, erzählt sie. Derartige Konflikte flauen aber schnell ab. Denn: „Wenn wir nicht funktionieren, funktioniert das ganze System nicht.“
Das System: ein Alltag, der von Windstärke und Wellengang bestimmt wird. Ein Alltag, für den es zwar ein grobes Logbuch, aber keinen exakten Plan gibt. „Wir wollen positive Geschichten an den schönsten Plätzen der Welt finden, Momente, die man in keinem Reisebüro buchen kann“, beschreiben die beiden ihr Vorhaben. Klingt traumhaft. Der Weg dorthin ist es aber nicht immer.
Aug in Aug mit Piraten
Schon die ersten Monate forderte das zweiköpfige Team zeitweise massiv. Naturgewalten wie Hochseegewitter, die den beiden keine Nachtruhe gönnten, waren ebenso dabei wie Zonen menschlicher Gewalt. So führte die Route durch das Rote Meer - und damit am Ausgang zum Golf von Aden durch eine der aktuell gefährlichsten Seepassagen der Welt. Auf der einen Seite das Bürgerkriegsland Eritrea, auf der anderen Seite das Bürgerkriegsland Jemen, dazwischen Militärboote, Piratenschiffe, meterhohe Wellen und Starkwind. Weiter südlich, auf der Höhe von Dschibuti, „haben wir uns dann schon gefragt, warum wir uns das eigentlich antun“, gibt Daniela Bärnthaler zu. „Wir wären im Vergleich zu den Tankern, die regelmäßig überfallen werden, ja nur ein kleines Zuckerl für die Piraten“, vergleicht Schiester.
Schiesters Abenteuerlust und sein stures Durchhaltedenken haben sich mittlerweile auch auf seine Partnerin übertragen. „Man kann viel mehr aushalten, als man glaubt“, sagt sie und schiebt die Option, aufzugeben, mittlerweile routiniert zur Seite. „Aber wenn du draußen am Meer bist, dann musst du auch im Kopf zu hundert Prozent dort sein, sonst wird es gefährlich“, ergänzt Schiester. Denn: „Hilfe darfst du dir nicht erwarten. Da draußen gibt es keinen ÖAMTC.“ Eine kleine, aufblasbare Rettungsinsel für den Notfall ist aber schon an Bord. Um sie nicht zu brauchen, ist permanente Aufmerksamkeit gefragt. „Einen längeren Schlaf erlaubt man sich selbst nicht, hat immer ein Auge auf die Steuerinstrumente“, sagt Schiester.
Ein halbes Jahr hat Bärnthaler überlegt, ob sie sich auf ein derartiges Abenteuer einlassen soll. „Aber ich habe es als eine einmalige Chance gesehen“ - und es bis heute nicht bereut. Belohnt wird sie dafür mit serienhaften Sonnenauf- und -untergängen. Überdosierte Idylle? „Nein, satt wird man davon nie“, lacht Bärnthaler.
Nie Heimweh? „Wir fühlen uns überall daheim, wo Menschen sind“, sagen die beiden Globetrotter. Dieses Gemeinschaftsgefühl gibt es auf offener See selten genug. Stattdessen ein Übermaß an Einsamkeit und Stille. „Da ist fast zu viel Ruhe“, sagt Schiester. „Da ist man froh, dass man sie mit einem Zweiten teilen kann - allein wäre das eine noch größere Herausforderung für die Psyche.“ Beide sind bemüht, kein Bild permanenter Ferienidylle zu malen. „Es ist kein Urlaub, sondern eine andere Art zu leben.“ Dafür neben neidvoller Bewunderung auch ehrliches Verständnis zu bekommen, sei gar nicht so leicht. Vor allem daheim nicht, in Schiesters enger Heimat Mautern. Das schmerze, „weil ich ja niemandem schade und der Öffentlichkeit auch nichts koste“.
„Unser Ziel ist es nicht, Helden zu werden, sondern den Menschen die Augen zu öffnen für das Schöne und ihnen zu sagen und zu zeigen, dass es da draußen noch etwas anderes gibt.“ Das andere sind für die beiden aktuell die Seychellen.
Klaus Höfler