Meine Kinder tun mir leid. Der Kleine hat schon mit fünf seine erste Plombe gebohrt bekommen. Kein Wunder: Heute Früh gab’s wieder ungesundes, verzuckertes Knuspermüsli. Und der Große? Schon wieder einen Fünfer, weil die Mama nicht genug mit ihm gelernt hat. Und dann muss er eine löchrige Unterhose und ein schiaches Leiberl anziehen, weil wieder mal niemand die Wäsche gemacht hat. Und warum nicht? Mama hat was Besseres zu tun. Schreibt einen Essay für den Muttertag.
Ich bin eine schlechte Mutter
Sparen Sie sich den Vorwurf. Ich nehme es Ihnen aus dem Mund: Ich bin eine schlechte Mutter. Wenn der Kleine im Restaurant auf seinem Sessel hutscht, statt still zu sitzen. Wenn die Geschwister sich befetzen. Wenn wir wegen Buben-Raufereien in die Direktion bestellt werden. Alles auf mein mütterliches Versagen zurückführbar.
Woher ich das weiß? Die wenigsten sagen es mir ins Gesicht; mir reicht es, zu hören, wie über andere, schlechte Mütter geredet wird. Ich lese es, in Artikeln, Leserbriefen, Statistiken. Ich kann es sehen: in Werbespots. An den Blicken. Ich beobachte perfekte Mütter, die es besser machen. Die himmlische Pausenbrote zaubern. Die sich im Elternverein engagieren. Die am Spielfeldrand frierend ihren Kindern beim Sport zuschauen, während ich schreibe, lese oder auf der faulen Haut liege. Bei jedem Schulbuffet steht die perfekte Mutter Habt Acht und reckt mir ihre protzigen, hausgemachten Muffins entgegen. Sie alle geben mir zu verstehen: Wir sind sanftmütger, gebügelter, organisierter und engagierter als du. Und selbstloser.
Schuldgefühle ohne Ende
Auf der nach oben offenen Selbstlosigkeitsskala, an der die Gesellschaft die Qualität der Mutterschaft bemisst, werden wir Mütter in einer Stirnreihe aufgestellt und gemessen, egal, ob es uns passt oder nicht. Es gibt keine Obergrenze, aber die gilt es zu erreichen! Und los! Zu gewinnen gibt es Schuldgefühle ohne Ende! Wer die beste Mutti ist, ist zwar halb tot, aber gut im Rennen. Und wer gut im Rennen ist, kann gleich im sportlichen Dauerlauf bleiben: denn die Töchter und Schwiegertöchter – so viel Pessimismus muss sein – werden noch vor den selben Probleme stehen wie wir. Warum spielen wir mit, anstatt empathisch und solidarisch zu sein? Ist unser weibliches Wertegefüge wirklich so bombenfest mit unserer Mutterrolle verklebt?
Was ist eine gute Mutter? Sie ist gütig und zeigt gleichzeitig Grenzen auf. Sie hilft ihren Kindern, erzieht sie aber trotzdem zur Selbstständigkeit. Sie kocht kindgerecht und gleichzeitig gesund. Großzügig, aber nicht verschwenderisch ist sie – sparsam, aber nicht geizig. Ihr Beruf soll standesgemäß, einträglich, aber auch mit kindlichen Brechdurchfällen kombinierbar sein, und mit monatelangen Ferienzeiten.
Kurz: Eine gute Mutter muss das Unmögliche möglich machen und nebenbei auch noch gesund, sexy und glücklich sein. Wer will schon eine kranke, ungepflegte und depressive Mama?
Ich bin faul und selbstvergessen
Auf der Selbstlosigkeitsskala schneide ich schlecht ab. Ich bin faul und als Künstlerin sowieso selbstvergessen. Ich gehe lieber alleine in den Wald, als meinen Kindern beim Sport zuzuschauen. Ich finde Kotze wegputzen schrecklich und esse gerne in feinen Lokalen, ohne Kinder. Mein größtes Verbrechen aber ist, dass ich meinen Beruf liebe. Ich fahre auf Recherche- und Lesereisen, und manchmal ziehe ich mich in lange Klausuren zurück. Seit ich das tue, verstehe ich, warum Genies entweder Männer oder kinderlose Frauen waren. Sie konnten einen komplizierten Gedanken zu Ende denken, bevor sich Windeln, Schularbeiten und zur Neige gehendes Klopapier dazwischen zwängten! Das gute, alte, schlechte Gewissen allerdings zwängte sich bei mir noch in jede Klausur oder Lesereise.
Ich werde oft gefragt: Wie schaffst du das? In den Augen lese ich den unausgesprochenen Satzteil: … deine armen Kinder im Stich zu lassen? Das ist der Moment, in dem ich nicht sage: mit schrecklichen Schuldgefühlen. Stattdessen hole ich den Vater aus der geistigen Versenkung hervor. Den Mann, an den niemand zu denken scheint, wenn es um Kinderbetreuung und Elternpflichten geht. Der zwar nicht gebären und stillen, aber liebhaben, trösten und sehr gute Toasts zaubern kann. Derselbe Mann, der seine Dienstreisen, Schiurlaube und Segelwochen von Vorwürfen unbehelligt machen kann. Der übrigens auch nicht gern Kotze putzt und Wäsche wascht, dafür aber gern am Fußballfeld steht. Der genauso ein schlechter Vater ist wie ich eine schlechte Mutter. Im Team aber sind wir gute Eltern.
Fürsorgearbeit, unbezahlt und ungedankt
Am Muttertag stellen wir die Fürsorgearbeit, die milliardenfach unbezahlt und ungedankt verrichtet wird, auf ein kleines Podest und bewerfen sie mit netten Worten, Blumen und Pralinen. Wir feiern die unbegrenzte Liebe. Aber wenn wir diese Liebe unters Mikroskop legen, sehen wir vor allem eins: Dienstleistungen. Wir sehen die Statistiken unbezahlter Hausarbeit. Pausenbrotdienst, Wäscheservice, Fahrten-, Putz- und Pflegedienste, Privatunterricht, säckeweise Einkäufe. Wenn wir tief genug blicken, sehen wir den hässlichen Bodensatz der Mutterschaft: ungleiche Bezahlung, weibliche Altersarmut und Unterrepräsentanz in so gut wie allen Machtpositionen. Missstände, die letztendlich primär oder sekundär, freiwillig oder unfreiwillig mit der Mutterschaft verbunden sind und die unsere weiblichen Nachkommen (und auch die kinderlosen Frauen) noch ausbaden dürfen.
Blumen und leere Versprechungen
Ich bin schlecht darin, muttertägliches Entzücken vorzutäuschen. Dem Großen habe ich es schon gesagt: Dass ich keine Blumen will, sondern dass er sein Geschirr wegräumen soll. Dass er sein vor Schweiß dampfendes Sportgewand selber in der Waschmaschine dekontaminieren soll. Und zwar möglichst immer. Der Kleine lässt sich noch anstecken von der Muttertagsmaschinerie, die jährlich angeworfen wird. Aber auch er spürt schon: auf Blumen und süße, leere Versprechen kommt es in unserer Familie nicht an. Wir funktionieren, weil wir alle ein Recht auf unsere Bedürfnisse haben. Und zwar mehr als einen Tag im Jahr.
Ich bin auch eine die Mutterschaft beschmutzende Mutter, weil ich kritisch über sie schreibe – auch über ihre Unterseite. Bei einschlägigen Veranstaltungen gibt es am Ende immer diese eine Mutter oder Omi, die aufsteht und sagt: Ich habe mein Leben gerne geopfert. Ich würde es wieder tun.
Woher kommt der Zwang, die Strapazen der Mutterschaft zu glorifizieren? Wieso vergönnen Mütter anderen Müttern keine Weiterentwicklung aus der Opferrolle? Und wann, verdammt, nehmen wir endlich die Väter in die Pflicht?
Das mütterliche Glück ist brüchig
Die glücklichen Sklaven sind die erbittertsten Feinde der Freiheit, sagte Maria von Ebner-Eschenbach. Ich habe das selbstlose, gefeierte Mutterglück satt. Frauen haben ein Recht auf Selbstentfaltung und finanzielle Selbstbestimmung. Kinder haben ein Recht darauf, Fürsorge und Gleichberechtigung zu lernen. Ich weiß, dass das mütterliche Glück brüchig ist. Dass Vorzeigemütter heimlich ihre Kinder anschreien. Dass sie genauso deprimiert wie ich sind, wenn sie das mit Liebe gemachte Biobrot mit dem Biokäse, Bioschinken und Biogurkerln im Biokübel vor dem Haus entdecken. Dass die unbezahlte Arbeit für alle wertvoll ist, nur nicht für unsere Pensionsvorsorge. Es ist Zeit, die Mutterliebe aus der Patronanz der Selbstaufgabe zu befreien. Auch im Sinne jener Männer, die sich nicht auf die Ernährerrolle reduzieren lassen wollen und denen die Fähigkeit zum altruistischen Lieben viel zu oft aberkannt wird. Das sind wir Mütter einander schuldig, aber auch unseren Töchtern. Und nicht zuletzt – unseren Männern und Söhnen.
Gertraud Klemm