Der leichte Nieselregen begleitet mich schon seit den frühen Morgenstunden. Ich beuge mich tief über das voll bepackte Tourenrad und versuche, die eindringende Feuchtigkeit zu ignorieren. Seit Stunden radle ich mit klammen Fingern und tropfender Nase entlang der schwedischen Westküste immer weiter in Richtung Norden. Ich folge dem berühmten Kattegattleden, der 370 Kilometer lange Radfernweg zwischen Helsingborg und Göteborg zählt zu den schönsten Radstrecken Europas. Berühmt ist der Abschnitt für seine überwältigenden Ausblicke auf eine wilde und über weite Strecken unverbaute Küstenlandschaft. Die eiszeitlichen Granitfelsen sowie die salzige Luft des Meeres prägen das maritime Landschaftsbild.

Doch heute habe ich keine Augen für die Naturschönheiten Schwedens, meine Begeisterung hält sich ehrlich gesagt in Grenzen. Dabei darf ich mich nicht beschweren, es ist der erste Regentag auf meiner fast 2000 Kilometer langen Reise von Österreich nach Norwegen. Vor knapp zwei Wochen bin ich aus meinem Heimatort im oberen Ennstal gestartet. Eine ausgeprägte Schönwetterphase verwöhnte mich auf dem Weg durch Deutschland bis nach Dänemark.

Mitten in der Fahrradrushour

Erst in Kopenhagen erwischte mich ein erster kurzer Schauer. Die radbegeisterten Einwohner der dänischen Hauptstadt zeigten sich von ein paar Regentropfen unbeeindruckt. Kopenhagen gilt als Fahrradhauptstadt Europas. Jeden Tag werden 1,27 Millionen Kilometer mit dem Drahtesel zurückgelegt. Fast die Hälfte der Einwohner pendelt so umweltfreundlich in die Arbeit. Der morgendliche Radverkehr in der Innenstadt ist daher ein eigenes Kapitel und absolut sehenswert. Bewusst habe ich mich den strampelnden Pendlern angeschlossen und bin so zumindest für ein paar Stunden ein Teil der radaffinen Kultur geworden.

Als Radreisender ist man den Witterungseinflüssen hautnah ausgesetzt, aber auch mit den Menschen kommt man bei dieser Art der Fortbewegung schneller ins Gespräch. In Kungsbacka, einer schmucken Stadt in der schwedischen Provinz Hallands, habe ich mich in einem Bikeladen nach einem Ersatzschlauch für mein Hinterrad umgeschaut. Im hinteren Winkel der kleinen, voll geräumten Werkstatt hat ihn der Inhaber schließlich gefunden, der sich begeistert für meine Tour interessiert. Während ich also meine Geschichte erzähle, bekommt mein Fahrrad ganz nebenbei ein erstklassiges Service verpasst. Frisch geölt und mit neuem Schlauch versehen, schickt der alte Mechaniker mich und mein Rad nach etlichen Stunden wieder auf die Reise. Nehmen will er für seine Arbeit nichts, aber über eine Postkarte aus den Alpen würde er sich freuen.

Das Ziel ist in Sicht

Nach insgesamt zwei Wochen im Sattel überquere ich die Grenze von Schweden nach Norwegen. Landschaftlich ändert sich nicht viel, lediglich an den gelben Linien auf der Straße kann man erkennen, dass man Norwegen erreicht hat. Nach Oslo sind es jetzt nur mehr 180 Kilometer. Ich werde es also wirklich schaffen, das Ziel ist in greifbare Nähe gerückt. Beim Start in meinem Heimatort hat mich die ungeheure Distanz von knapp 2000 Kilometern fast erdrückt. Bis auf wenige Freunde und meiner Familie habe ich vorsichtshalber niemandem von meinem Vorhaben erzählt. Zu groß war meine Sorge, irgendwo aufgeben zu müssen. Auf dieser langen Strecke kann viel passieren – und ob ich es schaffe, ist ungewiss.

Aber jetzt, kurz vor dem Ziel, strotze ich voller Selbstbewusstsein und radle dem Oslofjord mit einem breiten Lächeln entgegen. Ein lieber Freund, der etwas außerhalb der norwegischen Hauptstadt lebt, wartet bereits am berühmten Opernhaus im Stadtteil Bjørvika direkt am Hafen. Auf den letzten Kilometern komme ich noch in Begby bei Fredrikstad an ein paar historischen Felsritzungen vorbei. Zu sehen sind Schiffe, Waffen und Menschen aus längst vergangenen Zeiten. Die Wikinger haben allerorts ihre Spuren hinterlassen.

Auf den Spuren der Wikinger rolle ich nun auf gepflegten Radwegen am Oslofjord entlang und freue mich auf ein paar fahrradfreie Tage bei meinen Freunden. Die Begrüßung in Oslo ist ausgesprochen herzlich, Bard und seine Familie nehmen sich Zeit und zeigen mir ihre schöne Heimat. Jetzt bin ich zwar hier, aber um richtig anzukommen, werde ich wohl noch ein paar Tage brauchen.