Frisch gemähtes Gras. Sägespäne, gemischt mit Schweiß und Motorsägenöl. Auch so kann Kindheit riechen – in der ganz persönlichen Erinnerung etwa. Stößt man auf diese Duftmischung, wird unverhofft und abrupt das Tor zur Vergangenheit aufgetan. Warum das so ist? „Nur der Geruchssinn geht direkt in das Emotions- und Lernzentrum, ins Limbische System, hinein“, erklärt Aromaforscherin Andrea Büttner von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. „Das ist eine ganz alte Hirnregion. Deshalb läuft beim Riechen auch vieles unbewusst. Wir können einen Flashback haben und emotional völlig gerührt sein“.

Büttner und ihre Kolleginnen und Kollegen vom EU-Forschungsprojekt „Odeuropa“ haben sich diese Besonderheit der Natur zunutze und auf eine olfaktorische Reise durch Europa gemacht. Das Ziel: erlebbar machen, wie es vor Jahrhunderten in Europa roch. Dabei wurden tausende digitalisierte historische Bilder und Texte (1600 bis 1920) mithilfe von künstlicher Intelligenz auf Geruchselemente hin analysiert. Danach wurden beispielhaft Gerüche rekonstruiert, die gezielt für das Lernen und museale Präsentationen eingesetzt werden sollen. „Lernen mit oder durch Geruch ist viel effizienter und verankert Wissen tief“. Abgesehen vom größeren Lerneffekt beim Museumsbesuch sei es auch „eine Anregung, über Dinge nachzudenken“, sagt die Forscherin. 

Vom Bisamapfel zum nachhaltigen Waschen

So etwa auch über das Thema Nachhaltigkeit. Ausgangspunkt dafür könnte der Bisamapfel sein, ein Schmuckstück, das mit duftenden Materialien gefüllt war und am Körper getragen wurde, um dem Gestank entgegenzuwirken. Erst durch die Analyse von Bildern wurde der historisch beliebte Gegenstand wieder ins Bewusstsein gerückt. „Eine neue museale Repräsentation wäre, einen Bisamapfel nicht nur auf dem Gemälde zu sehen, sondern auch einen echten, mit Geruch versehenen Bisamapfel auszustellen“, erklärt Büttner. Was taten Menschen damals, um gut zu riechen? Wie handhaben wir das heutzutage? Gab es früher vielleicht simple und nachhaltigere Ideen als heute? „Durch die Beschäftigung mit der Vergangenheit bringen wir Anregungen, über die moderne Welt nachzudenken und Dinge vielleicht wieder zu ändern.“  

Ein weiteres Projekt im Rahmen von Odeuropa war einem Auto der verstorbenen Königin Elizabeth II. gewidmet. Wie roch der Rover P5B der Queen? „Unsere Forschungsgruppe hat den Geruch des Wagens der Queen analysiert, um zu demonstrieren, dass es möglich ist, mit unseren Methoden quasi in die Vergangenheit zu schauen“, erklärt Andrea Büttner. Dazu wurden mithilfe von Adsorbermaterialien direkt aus dem Auto Gerüche eingefangen. „Auch ein Stück weit Gerüche, die höchstwahrscheinlich noch von der Queen selbst stammen, nämlich Parfumstoffe“, erklärt Geruchsexpertin Büttner. Die Proben wurden dann aufgeschlüsselt und isoliert, etwa der Ledergeruch der Innenausstattung, oder eben auch Parfumstoffe, die der Kleidung der britischen Königin anhafteten.

Ein Bisamapfel aus der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts | Ein Bisamapfel aus der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts
Ein Bisamapfel aus der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts
| Ein Bisamapfel aus der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts © IMAGO / Album/metropolitan Museum Of Art, Ny
Andrea Büttner | Andrea Büttner leitet seit 2017 den Lehrstuhl für Aroma- und Geruchsforschung an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Seit April 2020 ist sie geschäftsführende Institutsleiterin des Fraunhofer-Instituts für Verfahrenstechnik und Verpackung (IVV)
Andrea Büttner
| Andrea Büttner leitet seit 2017 den Lehrstuhl für Aroma- und Geruchsforschung an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Seit April 2020 ist sie geschäftsführende Institutsleiterin des Fraunhofer-Instituts für Verfahrenstechnik und Verpackung (IVV) © KK