Anfang Juli 2015 humpelte er mit Krücken ans Pult. Aber schon beim mächtigen Kyrie sprühte er voll Kraft und durchmaß auch die anderen Messteile mit der ihm eigenen Scharfkantigkeit, in facettenreicher Dynamik, immer bereit zum Risiko. Was Nikolaus Harnoncourt und seine Mitmusiker da noch nicht wussten: Es waren seine allerletzten Konzerte, bei der styriarte in Graz und den Festspielen in Salzburg. An seinem 86. Geburtstag im Dezember verabschiedete er sich ja vom Pult, im März musste sich die Musikwelt von ihm verabschieden.


Die Aufnahme von Ludwig van Beethovens „Missa solemnis“, die sich der Dirigent selbst dringlich gewünscht hatte, ist also ein Vermächtnis. Ein aufwühlendes. „Von Herzen – Möge es wieder – Zu Herzen gehn!“, hatte Beethoven das Autograf der monumentalen Messe überschrieben. Mehr als ein Auftrag für Harnoncourt, dem mit Laura Aikin (Sopran), Bernarda Fink (Alt), Johannes Chum (Tenor), Ruben Drole (Bass), dem Arnold Schoenberg Chor und seinem Concentus Musicus eine wahre Seelenmusik glückte. Ist die Live-Interpretation, soeben auf Rang 1 in den deutschen Klassik-Charts eingestiegen, naturgemäß nicht „klinisch“ sauber, so berühren doch ihre fiebrigen Friedensrufe und die innige Spiritualität.


Auch wenn Nikolaus Harnoncourt sich das Wort „Maestro“ stets verbat, „weil wir alle nur an der wahren Kunst lecken und dabei nur bis zu den Waden der Künstler kommen“: Da hat ein großer Meister der Nachwelt ein großes Geschenk hinterlassen.

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