In ihr höre man „den Aufschrei der Seele“, „einen Sturm der Angst“, „ein vom Meer bedrohtes Schiff“: Viele Deutungen gibt es für Ludwig van Beethovens wohl berühmteste Sonate, Nr. 23, und nicht zufällig trägt sie den Beinamen „Appassionata“.
„Die Leidenschaftliche“ fordert Interpreten höchste Virtuosität und Expressivität ab. Da ist man schnell bei Pierre-Laurent Aimard. Wer schon mit zwölf Jahren am Pariser Konservatorium Olivier Messiaens Kompositionsklasse besuchte und vom Ornithologen und Großmeister der Klangkaleidoskope nicht nur Töne, sondern auch Farben und Vogelstimmen hören lernte, der muss ja sein Lebtag lang begeistert Kopf und Ohren offen halten.
Als Solopianist des Pariser Ensemble InterContemporain hatte der Franzose mit dessen Gründer Pierre Boulez, mit seinem Förderer Messiaen, mit Stockhausen, Ligeti, Kurtág & Co ab 1976 die volle Breite und Tiefe zeitgenössischer Musik vermessen und war zum viel gesuchten Experten für Extreme gewachsen.
Aimard blieb daneben aber immer der klassischen Klavierliteratur verbunden, was er unter anderem auch bei seinem styriarte-Debüt im Jahr 2000 unterstrich, als er mit Nikolaus Harnoncourt Beethoven-Klavierkonzerte zu interpretieren und den ganzen Zyklus aufzunehmen begann. Seit damals zählt der Paradepianist aus Lyon quasi zur Sonderausstattung des Festivals und bescherte ihm noch jedes Mal Sternstunden. Diese Saison war der 58-Jährige Artist in Residence der Wiener Symphoniker und spielte unter Philippe Jordan alle fünf Klavierkonzerte Beethovens. Keine schlechte Aufwärmrunde also für sein heutiges Solorecital in Graz mit drei großen Sonaten des großen Ludwig van.