"Trauer und Dankbarkeit sind groß. Es war eine wunderbare Zusammenarbeit". Das teilte Alice Harnoncourt der Öffentlichkeit mit, nachdem ihr Mann Nikolaus am 5. März des Jahres im Kreis seiner Familie in seinem Haus in Nußdorf am Attersee friedlich eingeschlafen war. Schon als der Dirigent im Dezember, an seinem 86. Geburtstag, verkündet hatte, dass er sich von der Bühne zurückziehen würde, hatte auch seine Frau die Geige aus der Hand gelegt, mit der sie bis dahin zum Kern des Concentus Musicus gehört hatte.
Bereits als junge Verlobte hatte Alice Harnoncourt ihren späteren Ehemann als Pianistin begleitet, als dieser noch mit dem Cello Herbert von Karajan vorspielen durfte, Und zusammen gründeten sie auch das Ensemble 1953 in Wien, das sich rasch als eines der weltweit führenden Originalklangorchester etablieren konnte. Nun kehrte die Wienerin wie alle Jahre zur styriarte zurück, die 1985 zum "Hausfestival" ihres Mannes wurde und dessen Projekte sie hier an seiner Seite still, aber wesentlich mittrug. Neben Konzertmeister Erich Höbarth im Concentus-Orchester, das heuer alle neun Beethoven-Symphonien bei der styriarte stemmt, sitzt die 85-Jährige nun nicht mehr. Aber im Sinne ihres Mannes ist sie natürlich weiterhin aktiv. So war sie bei der Festivaleröffnung im Grazer Stadtpark mit dabei, als die Uraufführung "Nikolaus" von Iván Eröd erklang. Ebenso bei der Präsentation der CD mit Beethovens "Missa solemnis", die letzte Aufnahme ihres Mannes, von der styriarte aus dem Vorjahr.
Bei der Vorstellung der Sony-CD schwärmte sie von den Proben-, Konzert- und Aufnahmebedingungen, die das Festival Nikolaus Harnoncourt und den Seinen von Beginn an bot: "Die waren ganz wunderbar, weil man sich ganz auf die Arbeit konzentrieren konnte. In Wien war das auch deshalb anders, weil Musiker oft auch andere Verpflichtungen neben den Proben hatten, zum Beispiel nebenher unterrichten mussten. Aber hier im Grazer Stephaniensaal ein paar Tage ungestört und zusammengeschweißt zu sein, das brachte immer was. Die optimale Atmosphäre steigerte jedenfalls die Leistungsfähigkeit. Und weil wir ja Live-Aufnahmen machten, spiegelte das auch stets das sehr aufmerksame styriarte-Publikum zurück."
Alice Harnoncourt ackert gerade die Archive des Concentus Musicus durch. „Manchmal bin ich selbst völlig überrascht, worauf ich da stoße“. Ganz zu Beginn sei man etwa mit einem Programm aus dem 15. Jahrhundert sechs Wochen in den USA unterwegs gewesen und ganz toll bei den Leuten angekommen, "das Publikum war selbst bei diesen Raritäten ganz begeistert". Rund 500 Aufnahmen seien von Bachs "Brandenburgischen Konzerten" 1953 bis heute erschienen, aber Alice Harnoncourt weiß, dass in Archiven noch viel schlummert: "Da gibt es zum Beispiel zwei Beethoven-Konzerte, die der ORF in Wien mitschnitt und die in unserer Erinnerung sehr schön waren". Bei der Sichtung allen Materials sei sie gerade bei 1966 – "aber das dauert, ich habe ja nicht einmal Internet, ich bin ja aus einer anderen Zeit", sagt Alice Harnoncourt mit einem Schmunzeln. MICHAEL TSCHIDA
Rückblick
Harmonie, Kontrapunkt und kurze Dissonanzen: Die Ehe von Alice und Nikolaus Harnoncourt war symbiotisch.
Ihr Vater hatte ja insgeheim gehofft, dass sie den „armen Grafen aus Graz“ gegen einen „wohlhabenden“ vertauschen würde. Daher wurde die junge Geigerin aus Wien für ein Studienjahr nach Paris verschickt. Aber Alice Hoffelner blieb bei ihrem Nikolaus. 1953 wurde geheiratet. „Ich war 22. Meine Eltern befürchteten, dass ich mir meine Karriere damit verbaue“, erinnerte sie sich einmal bei einem interview mit uns. Tatsächlich griff Alice Harnoncourt zwischenzeitlich öfter zum Kochlöffel als zur Geige. Ihr Mann aber warnte sie davor, die Kunst ad acta zu legen. „Irgendwie habe ich es doch geschafft, Familie und Beruf unter einen Hut zu kriegen“, sagt sie, „obwohl ich heute nicht mehr weiß, wie.“ Alice Harnoncourt hatte vier Kinder zu versorgen und profilierte sich gleichzeitig als Musikerin. Viele Jahre war sie Konzertmeisterin des Concentus Musicus. Schwierig war für sie vor allem, „meine Position in dieser Ehe zu finden. Neben einer so starken Persönlichkeit war es eine Gratwanderung, dass ich mich nicht zu sehr unterordne, denn das ist sowohl für den Mann als auch für die Frau problematisch.“
Wehmütig denkt sie an ihre gemeinsame „Pionierzeit“ in Wien zurück, in den ersten 15 Ehejahren in der kleinen Wohnung gegenüber des Josefstädter Theaters. „Im unteren Stock war eine Ordination, im oberen nur der Dachboden: Wir konnten musizieren, so lange wir wollten.“ Aber sie erinnert sich auch an die riesigen Wäscheberge, die sie mit der Hand auswringen musste, denn „so etwas Luxuriöses wie eine Waschmaschine
gab es damals ja nicht.“
MANUELA SWOBODA