Das Stakkato so scharf wie mit einem japanischen Keramikmesser“ – „Die Flöten, als ob ein Vogel vor dem Haus einen Frosch gefangen hätt’“ – „An der Grenze zum Absturz ist es immer am schönsten“ – „Auf jeder Silbe muss ein Ohr glühen“ – „Hier wie ein ganz schlimmer Teenager, der seinen Vater beißt“ – „Ihr spielt das ja so gemütlich, als ob ihr auf einer Hafenrundfahrt wärt“ – „Beethoven würd’ einen Schreikrampf kriegen“ . . .


Im Probenfilm zur „Missa solemnis“, den Günter Schilhan und Erhard Seidl im Vorjahr bei der styriarte für den ORF drehten, ist Nikolaus Harnoncourt einmal mehr als pointierter und hochenergetischer Motivator zu erleben für ein „ständig am Unfassbaren streifendes Werk“. Was der Dirigent selbst und seine Musiker zu dem Zeitpunkt nicht wussten: Es waren die Vorbereitungen zu seinen letzten Konzerten, in Graz und Salzburg. An seinem 86. Geburtstag im Dezember verabschiedete sich der Maestro ja vom Pult, im März musste sich die Musikwelt von einem ihrer ganz Großen verabschieden.


Zuvor hatte sich Harnoncourt aber noch gewünscht, dass die „Missa solemnis“ auf CD erscheint. Nun ist der Live-Mitschnitt des ORF auf dem Markt „und hat schon großen Anklang gefunden bis hin zu einer sehr guten Kritik in der ,Times‘“, wie Michael Schetelich von Sony gestern bei einem Pressegespräch in Graz sagte. Vom Plan des Konzerns, Beethovens Symphonien-Zyklus mit Harnoncourt und dem Concentus Musicus erstmals auf historischen Instrumenten herauszubringen, blieb leider nur die funkensprühende Einspielung der „Vierten“ und „Fünften“ aus dem Vorjahr (siehe unten).


Aber Schetelich kündigte für Herbst die Box „Harnoncourt – The Complete Sony Recordings“ an, die auf 61 CDs und Bonus-DVDs dessen gesamte Sony-Diskographie von 2002 bis 2015 umfasst und zudem noch drei unveröffentlichte Schätze hebt: zwei Bach-Kantaten aus dem Wiener Musikverein, Dvo(r)áks „Stabat Mater“ mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks sowie Beethovens einziges Oratorium „Christus am Ölberge“ von der styriarte 2007.


Komplett ist bei Harnoncourt übrigens auch nach 500 (!) Aufnahmen von Bachs „Brandenburgischen Konzerten“ 1953 bis heute nichts, womit er übrigens neben Arthur Rubinstein zu den Längstdienenden in der Diskographie-Geschichte zählt. Sony sieht die „Missa solemnis“ nur als „vorläufigen Schlusspunkt“ und will zusammen mit dem ORF noch Archive durchackern.

Video von Harnoncourts Proben der „Missa solemnis“ 2015: https://vimeo.com/132809845