Die styriarte war ja eine Erfindung für Nikolaus Harnoncourt und für seine wunderbare Art, Musik zu machen. Und das funktionierte unglaubliche 31 Jahre lang, bis zum Tod des Maestros in diesem Frühjahr. Nun gibt es eine Übereinkunft, dass unser musikalisches Leben weitergeht – zwischen mir und mir, zwischen uns und dem Publikum. Ich habe jedenfalls von niemandem gehört, dass das Festival aufhören soll zu bestehen. Aber wir wissen natürlich, dass wir jetzt andere Verfahren anwenden müssen.
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Den Kern der styriarte bildeten bisher die Ideen, die Harnoncourt einbrachte, und die Produktionen, die wir in der Folge für ihn realisieren durften. Dafür sein Leben zu opfern, war ein Glück, und er machte es für uns einfach, weil wir automatisch Weltereignisse im Haus hatten. Jetzt wird es natürlich schwieriger, diesen Level zu halten, weil wir uns nicht mehr auf den Meister verlassen können. Wir haben allerdings unsere Festspiele seit jeher auch abseits dessen konzipiert, was Harnoncourt interessierte, immer aber in seinem Sinn, nämlich möglichst breit kreativ. Also werden wir die Konzepte, die wir mit ihm oder ohne ihn schon begonnen haben, noch weiter ausfeilen.
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Zur Weiterentwicklung zählt, dass die styriarte noch intensiver und massiver als bisher ein Institut für Musikvermittlung sein wird und wir die Schwellen zu den „Tempeln“ noch niedriger halten, uns noch mehr öffnen. Musik steht ja nicht mehr im Zentrum einer bürgerlichen Gesellschaft wie noch vor ein paar Jahrzehnten. Kulturveranstalter sind nicht mehr automatisch und alleinig die Schenker von Glück. Also müssen wir im Wettbewerb der Freizeitbeschäftigungen neue Herausforderungen annehmen und Chancen nutzen.
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Dabei braucht es keine Zuspitzung auf Events oder auf Zirkus, wobei ich keine Berührungsängste habe, wenn nur die Botschaft der Kunst zu den Leuten kommt. Vor ein paar Jahren hätte ich darüber vielleicht noch die Nase gerümpft. Aber die Nase hoch zu tragen, über die Welt erhaben zu sein, großartige Kunst zu bieten – und keiner hört zu? Das kann nicht der Sinn sein.
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Uns geht es grundsätzlich um fantastische Inhalte der Kunst und nicht um Umsätze, sonst hätten wir Nikolaus Harnoncourt einfach nur durch André Rieu ersetzen müssen – und alles wäre eitel Wonne. Wir haben schon Sicherheitsventile, um uns davor zu hüten, banal, plump und dummköpfig zu werden: Erfahrung, Geschmack, Feuer für das, was wir tun und anbieten . . . Und neben der unglaublich breit strukturierten Medienwelt gibt es ja immer noch den unübertroffenen Wert des Live-Ereignisses – Erlebnisse, die man vor digitalen Dosen und Computern sitzend nie haben wird.
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Es genügt längst nicht mehr, Menschen in heiße Säle und enge Sitzreihen zu quetschen und mit unreflektierten Musikprogrammen zu beschallen. Deswegen haben wir solche Formate wie die „Soap“ erfunden – nicht, um Liederabende oder Streichquartett-Konzerte zu vernichten, sondern im Gegenteil. Für sinnige Verquickungen samt gelesener Lyrik, die ja fast schon eine aussterbende Rasse ist, braucht es nur einen kleinen intellektuellen und doch etwas größeren ökonomischen Aufwand: In solchen Formaten können wir umsetzen, was wir von Harnoncourt gelernt haben: Es muss brennen, prickeln, krachen, um das Essenzielle eines Kunstwerks zu vermitteln und ihm gerecht zu werden. Sonst brauche ich es erst gar nicht zu versuchen.
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Zugegeben, früher war ich als Impresario ein sehr strenger Geselle, heute aber bin ich im Dienstleistungssektor angekommen. Denkt ein Kulturmanager nicht wesentlich an seine Adressaten, ist er fehl am Platz. Die Drehung vom Diener der Kunst zum Diener des Publikums vollzog ich allerdings nicht in der Not, mehr Geld verdienen zu müssen, sondern um die Kunst genau dorthin zu bringen, wo sie sein soll, sonst landet sie im Nirwana.
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Harnoncourt selbst war ja früher als Pionier auch ein ganz Strenger, als es noch galt, sozusagen in den musikalischen Urwald oder in die Wüste vorzudringen, um zu roden oder das Neuland fruchtbar zu machen. Aber bald ging es ihm auch vornehmlich darum, Ideen von genialen Künstlern bestmöglich zu vermitteln. So harnoncourtisch wollen wir es mitten in einer Kultur, in der schon vieles bewässert und gut aufbereitet ist, weiter halten.


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Wenn einer wie Nikolaus Harnoncourt es schafft, allein mit der emotionalen Kraft eines Werkes und mit seinem Zupacken das Publikum zum richtigen Zeitpunkt zum Weinen zu bringen, ist das großartig, aber zunächst nur die Oberfläche. Harnoncourt entdeckte, dass das Gegenüber oft Schwierigkeiten damit hatte, die tieferen Schichten seiner Arbeit auf dem Podium mitzuverfolgen, also hat er immer gern etwas dazuerzählt und dabei Türen und Ohren geöffnet.
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Für uns bedeutet dieses Dazuerzählen, wie wir es nun auch in unserer Musikwerkstatt im Palais Attems pflegen, von Beginn an neugierig auf unsere künstlerischen Produkte zu machen, aber eben nicht nur auf die Endprodukte. Folglich wollen wir unser Publikum noch mehr in Entstehungsprozesse integrieren – mit Einladung zu Probenbesuchen, Workshops, vielfachen Angeboten für Jung und Alt.
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Wir Kulturvermittler befinden uns in einem Steinbruch, in dem es heißt, die Ärmel aufzukrempeln: Wie gelingt es uns, aus den Hinterlassenschaften von Komponisten etwas Neues zu machen, das der Erwartung und Lebensrealität heutiger Menschen entspricht? Kaum jemand hat ja heute das Verständnis, die Weltanschauung und die Kenntnis der musikalischen Sprache, um zum Beispiel die hohe Komplexität einer „Neunten“ von Beethoven zu verstehen. Also versuchen wir trickreich, lustvoll und ohne Scham, die Zuhörer näher an Produktionen der Spitzenklasse heranzuführen, was für sie unserer Erfahrung nach immer nützlich und glücklich machend ist.
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Das Stammpublikum ist uns natürlich wichtig. Aber uns interessieren gerade auch die noch zu Erobernden, die vielleicht noch gar nie die Chance hatten, sich in die sogenannte ernste Musik zu vertiefen. Und ich glaube, da gibt es noch immenses Potenzial. Wir sind jedenfalls mehr denn je dazu angehalten, Vorwerke und Brücken zu bauen, um Leute süchtig zu machen.
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Unsere styriarte-„Klangwolken“ sind ideal für Neueinsteiger, auch wenn mir vor zehn Jahren noch das Speiben gekommen wäre bei dem Gedanken, dass jemand im Gastgarten beim Radler oder mit den Füßen im Pool Orchesterklängen lauscht. Jetzt halte ich das weiterhin nicht gerade für die ideale Rezeptionsform etwa einer Beethoven-Symphonie (lacht laut). Aber es ist eine Möglichkeit. Und wenn wir als Festival mithelfen können, dass für die erstmals mit Klassik Infizierten der nächste Schritt folgt – schön! Wenn nicht, auch schön! AUFGEZEICHNET VON
MICHAEL TSCHIDA

Nikolaus Harnoncourt (1929 - 2016)
Nikolaus Harnoncourt (1929 - 2016) © STYRIARTE/KMETITSCH
Meistergambist Jordi Savall (74)
Meistergambist Jordi Savall (74) © STYRIARTE/KMETITSCH
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