Sie sind studierter Cembalist, Pianist und Hornist. Wie kam es zum Wunsch, auch noch Dirigent zu werden?
Stefan Gottfried: Das ist bei mir wie bei vielen Musikern der Alten Musik gewesen - das ist einerseits aus dem Begleiten am Cembalo heraus erwachsen, was ja auch die ursprüngliche Funktion des Kapellmeisters war. Und andererseits aus den Opernassistenzen heraus. Das habe ich Nikolaus Harnoncourt zu verdanken.
Und woher rührt Ihre Liebe zur Alten Musik?
Gottfried: Es waren die Harnoncourt-Aufnahmen und -Bücher, die mich als Jugendlicher so gefesselt haben, dass bald klar war: Das muss ich studieren. Und das Quellenstudium, das die Alte Musik mit sich bringt, diese Spurensuche in vergangene virtuelle Realitäten hinein, das hat mich auch sehr fasziniert.
2004 sind Sie dann als 33-Jähriger Assistent von Harnoncourt geworden. Wie haben Sie diesen Job ergattert?
Gottfried: Das frage ich mich oft selber, ich kann es nicht wirklich sagen. Es gibt beim Concentus ja keine offiziellen Vorspiele. Man bewirbt sich nicht, sondern man wird gefragt. Und Harnoncourts Angebot kam ganz überraschend für mich.
Sie waren dann über zehn Jahre enger Mitarbeiter von Harnoncourt, der ja einerseits eine sehr dominante Persönlichkeit war und andererseits den Concentus gleichsam demokratisch führte. Wie anstrengend war das für Sie als Assistent?
Gottfried: Ihm ging es immer um die Musik, das war das einzig Wichtige. Er hatte eine natürliche Autorität, weil er unglaublich viel zu sagen hatte - menschlich und künstlerisch. Der leidenschaftliche Ernst, alles zu geben und das von allen auch zu fordern, das hat ihn ausgemacht. Er war ein Vorbild an Kraft und Energie, kam nie auf den Gedanken, mal locker zu lassen. Er war ganz im Jetzt zuhause.
Wie überraschend kam für Sie persönlich sein Rückzug im Dezember?
Gottfried: Es hatte sich abgezeichnet, dass er nicht mehr so viel tun konnte. Aber die Hoffnung hat natürlich immer mitgespielt, weil er sich bei jedem Projekt bis zum Letzten verausgabt hat, um dann beim nächsten Mal wieder voll da zu sein. Insofern war der Rückzug für uns alle überraschend - und letztlich auch sein Abschied von der Bühne des Lebens. Für mich persönlich war das ein Schock: Er war doch schließlich eine Person, die so wirkte, als hätte sie unendlich Energie. Da gab es nie ein Zurückschauen, sondern nur Pläne und Ideen in die Zukunft hinein.
Stand in diesen Wochen und Monaten für Sie je die Frage im Raum, den Concentus Musicus zu beenden?
Gottfried: Für uns - bei Harnoncourt ebenso wie den Musikern - war das eigentlich nie ein Thema. Diese eigenständige musikalische Sprache aufzugeben war keine Option. Wir konnten uns künstlerisch auf eine Arbeit ohne ihn einstellen dank der Zeit zwischen seinem Rückzug im Dezember und seinem Tod. Er hat zu uns gesagt: Macht weiter! Natürlich wäre es schön gewesen, mit ihm künstlerische Fragen noch längere Zeit diskutieren zu können. Dass diese Phase leider nicht lange gewährt hat, tut weh. Aber zu wissen, dass er es uns zugetraut hat, die Zukunft eigenständig zu gestalten, gibt Mut und Hoffnung. Wir werden sehen, wohin es uns trägt.
Wie sieht die Führung des Concentus künftig aus?
Gottfried: Ich werde für die großen Projekte als Dirigent und künstlerischer Leiter agieren - immer in Zusammenarbeit mit den beiden Konzertmeistern Erich Höbarth und Andrea Bischof. Und auf der anderen Seite wird Nikolaus' Enkel Maximilian Harnoncourt als Orchestermanager tätig sein. Das ist auch ein schönes Symbol der Verbundenheit mit der Familie.
Wird auch Alice Harnoncourt als Violinistin weiter im Ensemble mitspielen?
Gottfried: Es wäre schön, sie noch dabei zu haben. Aber es ist jetzt noch zu früh, um hier eine Aussage treffen zu können. Ich möchte ihr da in keiner Weise vorgreifen.
Wohin wird sich der Concentus künstlerisch entwickeln?
Gottfried: Man soll nie versuchen, etwas zu imitieren. "Schafft ein eigenes Profil" und "Kunst muss immer neu sein", das ist Harnoncourts Auftrag. Wir wollen das Repertoire von Barock und Klassik weiterpflegen und im Musikvereinszyklus wieder verstärkt mit kleineren Besetzungen spielen - so wie es der Concentus in seinen frühen Jahren getan hat. Zugleich wollen wir die Fühler nach den Beethoven-Projekten weiter ins 19. Jahrhundert ausstrecken zu Schubert, Mendelssohn, Schumann. Das muss langsam wachsen. Wir sind sehr glücklich, bei alldem die Unterstützung unserer langjährigen Partner wie Theater an der Wien, styriarte, Musikverein und Melker Barocktage zu spüren.
Ist Ihr Ziel, das man in einigen Jahren nicht vom Harnoncourt-Ensemble, sondern vom Gottfried-Ensemble spricht?
Gottfried: Ein Ziel ist das sicher nicht. Der Concentus wird immer mit Alice und Nikolaus Harnoncourt verbunden sein. Die Kategorie "Nachfolger" kann nicht funktionieren. Ich darf die großen Projekte als Dirigent übernehmen. Da bin ich optimistisch: Ich glaube, dass wir mit unserem Profil und unserem speziellen Zugang weiterhin viel zu sagen haben. Es ging immer darum, eine sehr kontrastreiche musikalische Sprache zu sprechen und deshalb auch das Klangspektrum extrem auszuweiten - vom kaum Hörbaren bis zum rauen Zupacken. Das Publikum in "Affekte" zu versetzen (wie man im 18. Jahrhundert gesagt hätte), das ist das Ziel.
Werden Sie wie Ihr Vorbild mit dem Publikum während Konzerten sprechen?
Gottfried: Das ist nicht unbedingt geplant, wobei mir das schon Spaß machen würde. Ich bin ja auch langjähriger Musikpädagoge - da lässt sich fast nicht verhindern, dass man gerne über Musik spricht. Ich werde mich aber hüten, etwas zu imitieren und nur dann etwas sagen, wenn es hilft, die Musik tiefer zu erleben und besser zu begreifen.
INTERVIEW: Martin Fichter-Wöß/APA