"Am 5.3.2016 ist Nikolaus Harnoncourt friedlich im Kreis seiner Familie entschlafen. Trauer und Dankbarkeit sind groß. Es war eine wunderbare Zusammenarbeit", hieß es in einer kurzen Stellungnahme von Gattin Alice Harnoncourt und der Familie. Politiker vom Bundespräsidenten abwärts kondolierten und würdigten die Bedeutung des Erneuerers der Musikwelt, der durch das Zurückgehen auf die originalen Quellen einen Paradigmenwechsel in der musikalischen Rezeption eingeläutet hatte und mit dem von ihm gegründeten Ensemble Concentus Musicus zum Pionier einer Historischen Aufführungspraxis wurde.
Harnoncourt sei "das Original des Originalklangs", sagte Musikvereins-Intendant Thomas Angyan zur APA und sprach aus, was an diesem Tag wohl viele empfanden: "Eine Ära ist zu Ende gegangen." Staatsoperndirektor Dominique Meyer zeigte sich "tief betroffen vom Tod Nikolaus Harnoncourts, dessen musikalische Zugänge mich bereits als jungen Musikliebhaber sehr beeindruckten und bei mir große Bewunderung auslösten. Nicht nur unserer Generation hat er die Ohren geöffnet und uns dazu gebracht, Barockmusik 'anders' zu hören."
"Die Welt hat einen Unersetzbaren verloren", sagte styriarte-Intendant Mathis Huber. "Es bleibt uns der Blick zurück auf unermessliche Geschenke, die Nikolaus Harnoncourt den Musikfreunden gemacht hat." Theater an der Wien-Intendant Roland Geyer zeigte sich "unendlich dankbar für den Austausch und die Begegnung mit Nikolaus Harnoncourt, die sowohl künstlerisch wie menschlich ganz außergewöhnlich für mich war." Man habe bei der gemeinsamen Arbeit "unfassbar viel Neues und Schönes gelernt und vor allem erhört". Dirigent Franz Welser-Möst nannte Harnoncourt jenen Interpreten, "der unsere Welt mehr als jeder andere der letzten 50 Jahre geprägt hat. "Seine unerschütterliche Kreativität ist ein Exempel für uns alle. Das Wort Verlust drückt nicht aus, was ich empfinde."
Für die Wiener Philharmoniker ist nach dem Tod von Dirigent Nikolaus Harnoncourt "nichts mehr so, wie es war". Das schrieb Vorstand Andreas Großbauer in einer der APA übermittelten Reaktion im Namen das Orchesters, das sich derzeit auf Tournee in Südamerika befindet. Harnoncourt war Ehrenmitglied der Wiener Philharmoniker. Zweimal - 2001 und 2003 - hatte er das Neujahrskonzert dirigiert.
"Wir werden diesen Querkopf, Andersdenker und Tiefenbohrer in die menschlichen Seelen vermissen. Viele Werke von Johann Sebastian Bach bis Alban Berg haben wir durch ihn neu gelernt. Seine bahnbrechenden Interpretationen führten uns an unsere Grenzen und darüber hinaus. Sie haben uns vor den Kopf gestoßen, erschüttert - und überzeugt. In tiefer Verbundenheit gilt unser Mitgefühl seiner Familie", schrieb Großbauer.
All' jenen, die Harnoncourt im Konzertsaal oder im persönlichen Gespräch erlebt haben, wird er in Erinnerung bleiben als ein Begeisterter, der von der Weitergabe seines Wissens und seiner Erfahrungen geradezu beseelt war, und als ein Suchender, der sich selbst und das gesichert Geglaubte stets aufs Neue hinterfragte. Praktisch von Beginn seiner Laufbahn an hatte sich der Musiker geweigert, ausgetretene Pfade ungeprüft zu beschreiten und stattdessen das Quellenstudium und die Verwendung von Originalklanginstrumenten propagiert. "Musik als Klangrede" lautete dabei das große Credo.
Bestürzt über den Tod des großen Dirigenten zeigten sich die Präsidentin der Salzburger Festspiele, Helga Rabl-Stadler und Intendant Sven-Eric Bechtolf: "Nikolaus Harnoncourt der Fackelträger wird uns fehlen, fehlt uns heute schon." Die schwarze Flagge weht auf dem Festspielhaus, "in dem er uns so viele unvergessliche Stunden bereitet hat", gaben sie bekannt.
Geboren wurde Nikolaus Harnoncourt als Johann Nicolaus de la Fontaine und d'Harnoncourt-Unverzagt am 6. Dezember 1929 in Berlin in luxemburgisch-lothringischen Hochadel. Aufgewachsen ist der spätere Musikerneuerer, ein Ururenkel Erzherzog Johanns, allerdings in Graz, wohin seine Familie 1931 zurückgekehrt war. Von 1945 an erhielt er Cello-Unterricht. 1949 gründete Harnoncourt gemeinsam mit Eduard Melkus, Alfred Altenburger und seiner späteren Frau Alice Hoffelner das Wiener Gamben-Quartett und wandte sich in der Folge der Erforschung von Spielweise und Klang alter Instrumente zu. Drei Jahre später wurde er Cellist der Wiener Symphoniker. Diesen Beruf übte er bis 1969 aus.
1953 wurde zu einem prägenden Jahr für den aufstrebenden Klassikstar. Zum einen heiratete er Hoffelner, mit der er vier Kinder haben sollte, darunter die Mezzosopranistin Elisabeth von Magnus und der Regisseur Philipp Harnoncourt. Und im Herbst desselben Jahres erfolgte die Gründung des Concentus Musicus Wien, mit dem eine neue Ära der Musikinterpretation eingeleitet wurde. Neben Konzerten und Plattenaufnahmen mit seinem eigenen Ensemble begann Harnoncourt 1972 auch zu dirigieren.
1975 startete die langjährige Zusammenarbeit mit dem Amsterdamer Concertgebouw Orchester. 1983 debütierte er am Dirigentenpult der Wiener Symphoniker, 1984 bei den Wiener Philharmonikern, 1987 (mit "Idomeneo") an der Wiener Staatsoper und 1992 bei den Salzburger Festspielen. Beim 1985 gegründeten steirischen Klassikfestival styriarte fungierte er von Anfang an als Aushängeschild. 2001 und 2003 dirigierte er das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker.
Dabei blieb der rastlose und hoch dekorierte Dirigent, der u.a. mit dem Polar-Musikpreis, dem Kyoto Preis und dem Ernst von Siemens Musikpreis ausgezeichnet wurde, nicht beim barocken Repertoire stehen, sondern erweiterte seinen Horizont über die Jahre. Schließlich dirigierte er Händel und Monteverdi, Bach und Mozart ebenso selbstverständlich wie Berg, Offenbach, Gershwin und Strawinski. Mathis Huber sah den unermüdlichen Quellenforscher Harnoncourt heute bei jenen Gesprächspartner angekommen, die ihm auf Erden verwehrt geblieben waren: "Und es bleibt uns der Trost, dass er jetzt seinem Mozart und seinem Bach jene Fragen stellen kann, die auch er bis jetzt nicht beantworten konnte."