Am Ende waren es dann doch einige prominente Schauspielende und Regieführende, die der 62. Ausgabe des Internationalen Filmfestivals Viennale einen Besuch abstatteten: Star-Regisseur Luca Guadagnino (“Call Me By Your Name“, „Queer“) beehrte Wien, um in der Rolle als Produzent von Giovanni Tortoricis Coming-of-Age-Drama „Diciannove“ vorzustellen. Wie auch Radu Jude, Roberto Minervi, Albrecht Schuch und Nathan Silver.
US-Filmemacher Aaron Schirmberg indes begeisterte mit „A Different Man“ in Wien. In seinem, beim Sundance Film Festival uraufgeführten Indie-Werk des Hipster-Studios A 24 erzählt er verworren und klug vom Umgang mit Gesichtsdeformationen, von Schein und Sein, vom Anderssein. Sein Protagonist Edward leidet an Neurofibromatose, er lebt ein normales Leben, erträgt die Blicke der anderen. Nach einer experimentellen Therapie verwandelt er sich in einen Beau (“The Apprentice“-Star Sebastian Stan). Doch das makellose Gesicht katapultiert ihn in einen Albtraum: Er scheitert im Theaterstück von Ingrid (Renate Reinsve), als er sein altes Ich verkörpern soll. Im Gegensatz zu seinem Doppelgänger Oskar (Adam Pearson), dessen Gesicht deformiert ist. „Für mich ist es eine Komödie“, sagt Schirmberg eingangs. Er hätte aber auch nichts dagegen, ordne jemand den Film als „Tragödie“ ein, sagte er. Der Kleinen Zeitung verriet er später, dass er diese Ansage mache, „damit die Leute sich auch zu lachen trauen“. Ein Film, der lange im Kopf bleibt.
Eine große Künstlerin kam ebenso, um die Doku „Noch bin ich nicht, wer ich sein möchte“ vorzustellen, die ihrem Leben gewidmet ist: Libuše Jarcovjáková. Die „Nan Goldin des Ostblocks“ wird die 71-jährige Fotografin aus Prag auch genannt. Klára Tasovská widmet ihr ein sensationelles, sinnliches Filmporträt, das sich aus Schnappschüssen von den Randzonen des Kommunismus, Selbstporträts und ihren eigenen Tagebucheinträgen speist. Die Zeitzeugin erzählt darin von ihrem Kampf für Freiheit und Selbstbestimmtheit. Besonders schön: Seit einigen Jahren wird ihr Werk in Retrospektiven endlich international entdeckt.
Eine der beeindruckendsten Filme dieses Festivaljahrgangs war „Die Saat des heiligen Feigenbaums“ vom iranischen Mohammad Rasoulof, der seinen Film geheim im Iran drehte und vor wenigen Monaten nach Deutschland floh. Er erzählt von den Protesten nach dem Tod der jungen Kurdin Jina Mahsa Amini im September 2022 und von Rissen des Landes, die sich durch Familien ziehen. Denn auf der einen Seite stehen der Vater Iman (Missagh Sareh), der als Ermittler beim Islamischen Revolutionsgericht arbeitet, und seine Frau Najmeh (Soheila Golestani). Auf der anderen Seite sind ihre beiden Teenager-Töchter, die mit den Frauenprotesten solidarisieren. Ein berührendes Werk, das für Deutschland ins Oscarrennen geht.
Heute endet die Diagonale mit Mati Diops Berlinale-Gewinnerfilm „Dahomey“.