Unter die schönsten Wörter der Welt wird es wohl nicht so bald aufgenommen. Manchen klingt das Wort „Salzkammergütler“ dennoch wie Musik in den Ohren: Elisabeth Schweeger, die künstlerische Leiterin der Kulturhauptstadt Bad Ischl Salzkammergut 2024, sieht in dem regional jüngst gängig gewordenen Neologismus den Nachweis eines längst überfälligen Zusammenwachsens.
Eine steile, aber nicht ganz abwegige These, immerhin arbeiten 23 Gemeinden des Salzkammerguts, bis dato gern als Heimstätte
eines manchmal auch durchaus rabiat lokalen Selbstbewusstseins gehandelt, seit Jahresanfang in einem Großprojekt zusammen, dass zwecks Erfolgs nebst Gemeinderivalitäten auch die Ländergrenzen von Oberösterreich und der Steiermark überwinden muss.

130 Veranstaltungen, 220.000 Gäste

Diese Woche wurde nun die Halbjahresbilanz präsentiert – mit einigermaßen stattlichen Zahlen: Von Jänner bis April, nicht eben die übliche Hauptsaison in der Kulturhauptstadtregion, stiegen die Ankunftszahlen um acht Prozent, die Nächtigungen um knapp fünf Prozent. Bei bisher 130 Veranstaltungen seien bis 30. Juni 220.000 Gäste gezählt worden, berichteten Schweeger und die kaufmännische Geschäftsführerin Manuela Reichert.

Glaubwürdige Zahlen in einem Kontext, in dem üblicherweise kreativ gezählt wird: Wohl auch dadurch kamen Österreichs Kulturhauptstädte Graz 2003 und Linz 2009 seinerzeit auf Besuchszahlen von stolzen 2,8 bzw. 3,5 Millionen. So weit wird es die Kulturhauptstadt Bad Ischl Salzkammergut voraussichtlich nicht bringen. Einerseits aufgrund ihres bescheideneren Budgets und damit deutlich weniger Veranstaltungen, aber auch aufgrund ihrer Ausrichtung: Nebst Großprojekten wie dem Ausstellungs-Tripel „Die Reise der Bilder“ um Raubkunst und Restitution (bisher 30.000 Besuche) oder einem Bruckner-Konzert für knapp 2500 Zuhörer in den Ebenseer Salinen fokussiert das Programm auf konsequent Zeitgenössisches von Ai Weiwei bis Attwenger, will politisch und gesellschaftlich relevant sein – auch in der Auseinandersetzung mit den ortsgegebenen Verhältnissen. Der Kulturbegriff ist dabei ziemlich weit gefasst: die Nachwuchsförderung im Gmundener Frauenfußball wird da ebenso zum offiziellen Programmpunkt wie eine Infotour zur fachgerechten Renaturierung von Moorgebieten in Bad Mitterndorf oder der Narzissenschutz.

Ausstellung von Chiharu Shiota in der Gedenkstätte Ebensee: Erfolg mit konsequent zeitgenössischem Programm
Ausstellung von Chiharu Shiota in der Gedenkstätte Ebensee: Erfolg mit konsequent zeitgenössischem Programm © AFP

Kultur jenseits der Kanons ist seit jeher ein Erfolgsrezept der Kulturhauptstädte, oft zwecks internationaler Aufmerksamkeit; in Estlands heuriger Kulturhauptstadt Tartu etwa fand im Mai ein öffentliches Massenküssen von Tausenden statt - als Zeichen „für Offenheit, Menschlichkeit und Respekt“. Ischl hatte, auch im Kulturhauptstadt-Rahmen, jüngst seine erste Pride-Parade, unter dem Slogan „Mia san queer, mia san do, gwents euch dran“ zogen immerhin 5000 durch die Bannerstadt.

„Salzkammerpride“: 5000 feierten bei Ischls erster Parade
„Salzkammerpride“: 5000 feierten bei Ischls erster Parade © KHS

Manchen ist das Programm dennoch nicht spekaktulär genug: Es sei zu „kleinteilig“, “ kritisierte Star-Dirigent Franz
Welser-Möst unlängst in den „Oberösterreichischen Nachrichten“. Ein Vorwurf, den Schweeger im Gespräch mit der Kleinen Zeitung nicht gelten lassen mag: „Wenn man die Auseinandersetzung mit dem ländlichen Raum  als klein betrachtet, geht man an dem vorbei, worum es derzeit geht. Gerade auf dem Land müssen wir darüber nachdenken, wie wir mit unserer Erde umgehen. Wir können nicht alles versiegeln und verstädtern, wir müssen jungen Menschen eine Perspektive geben, hier zu arbeiten und ihre Familien aufzubauen.“ Gerade deswegen setze die Kulturhauptstadt auf ein breites Kulturverständnis, „und deswegen sind wir auch
erfolgreich: Die Menschen sehen, dass die Kulturhauptstadt sich wirklich mit ihrer Region auseinandersetzt, und dabei ist ein gemeindeübergreifendes Interesse entstanden.“ Sogar der Pötschenpass, massiver Trennklotz zwischen dem Ausseerland und dem restlichen Salzkammergut, ist da plötzlich keine Hürde mehr, freute sich bei der Halbjahresbilanz etwa der Bad Ausseer Bürgermeister Franz Frosch (ÖVP): „Der Sprung nach Oberösterreich und retour ist gelungen.“

Künstler Ai Weiwei kam zur Eröffnung seiner Ausstellung in Bad Ischl
Künstler Ai Weiwei kam zur Eröffnung seiner Ausstellung in Bad Ischl © APA

Kleinere Animositäten um die Verteilung der Gelder auf die  Gemeinden und Nichtberücksichtigung mancher regionaler Kulturangebote im Programm sind noch nicht erloschen, die Akzeptanz sei mittlerweile aber breit, sagt Schweeger: „Die Menschen kennen mich jetzt bei Namen, und niemand sieht mich mehr böse an.“ Kritik sei aber wichtig; dass man „miteinander redet und diskutiert und auch streitet“, bleibe „eine elementare Funktion der Demokratie“, sagt Schweeger: „Vielfalt muss gewährleistet sein. Wir profitieren ja von unterschiedlichen Sichtweisen, das macht uns groß und letztlich offener.“

Wassermann und „unerhörte Dinge“

Dass die Kulturhauptstadt schon allein aufgrund des Ungleichverhältnisses von 19 oberösterreichischen und vier steirischen Gemeinden bisher vor allem jenseits des Pötschen Präsenz gezeigt hat, soll sich demnächst noch ändern. Das zweite Kulturhauptstadt-Halbjahr bringt unter anderem eine Oper über den Wassermann vom Grundlsee, ein Klangprojekt von Bill Fontana in den Dachsteinhöhlen, die theatrale Radiosendung „Die unerhörten Dinge“ in Bad Aussee.

Mehr als Seen und Berge: das Salzkammergut
Mehr als Seen und Berge: das Salzkammergut © APA

Derweil arbeiten Schweeger und ihr Team bereits an der „Legacy“ der Kulturhaupstadt, an der Verankerung angehäuften Wissenskapitals in der Region. Nachhaltigkeit soll sich nämlich nicht nur an der Installierung neuer Kulturzentren in Ischl oder Gmunden zeigen, oder an der Renovierung des Lehar-Theaters in der Bannerstadt. Sondern auch im Umgang mit Förderstellen und Öffentlichkeit, oder in der Auseinandersetzung mit örtlichen Leerständen und ihrer künftigen Verwendung. Speziell da zeigt sich Schweeger voller Zuversicht: „Was die Kulturhauptstadt in den Köpfen der Leute gesellschaftlich bewegt hat, bleibt jedenfalls. Das
alles hinterlässt Spuren. Bis in die DNA.“ Und wohl auch bis in die Wörterbücher, wenn die Salzkammergütler
dranbleiben.