Was als politisches Bonmot schon seit längerem die Runde macht, trifft auch auf die Settings in den Büchern von T. C. Boyle zu: Die Richtung stimmt – es geht abwärts. Schon lange bevor der Begriff „Climate Writing“ en vogue war, hat sich der US-Autor in seinen breitenwirksamen, aber tief bohrenden Romanen und Erzählungen mit der Klimakrise und den Umgang der Menschheit damit beschäftigt. Dabei zeigte sich, dass man offenbar weltweit Feuer und Flamme für das Floriani-Prinzip ist. „Verschon‘ mein Haus, zünd‘ and‘re an.“ Die englische Entsprechung dafür ist übrigens das Akronym NIMBY. Es steht für „Not In My Backyard“ - Nicht in meinem Hinterhof.

Mit feiner Ironie, aber ohne destruktiven Zynismus schnüffelt Boyle auch in seinem neuen Erzählband „I Walk Between The Raindrops“ in den Hinterhöfen menschlichen Verhaltens herum, und seine Spürnase führt ihn zielsicher in übelriechende Ecken. Und gleich in der voltenreichen Titelgeschichte wird klar, worum es dem 77 Jahre alten Schriftsteller in den 13 Erzählungen des Bandes geht: Nicht nur um die Verwundbarkeit des Planeten, sondern auch um die Verletzlichkeit und Fragilität der Menschen darauf. Deren Arroganz und Ignoranz spart Boyle freilich auch nie aus. „I Walk Between Raindrops“ beginnt heimtückisch harmlos mit einer skurrilen Szene in einer Bar und einer aufdringlichen Frau. Dann schwenkt Boyle zu einem Sturzflut-Szenario in Kalifornien, Leichenbergen und einem Mann, der sich im Schlamm nicht die schönen Schuhe verdrecken will. Die brillante, mehrbödige Erzählung streift noch eine peinliche Verkuppelungsanordnung und endet schließlich im Suizid.

Boyle ist ein aufrichtiger und aufwühlender Beobachter, der nicht belehrt, sondern uns lehren möchte, genau in den Spiegel zu sehen. Die Erzählungen kreisen um Vereinsamung, Verrat, in einer Geschichte trifft eine Frau in einem Zug auf einen Incel-Vertreter und führt mit dem jungen Frauenhasser ein abgründiges Gespräch. Immer geht es um kollektive oder individuelle Verkrustungen und unsere Unfähigkeit, damit umzugehen. Auch das omnipräsente Thema KI spart Boyle nicht aus und skizziert, was passiert, wenn Maschinen – in diesem Fall ein selbstfahrendes Auto namens Carly – das Kommando übernehmen und darüber entscheiden, wohin die Fahrt geht und wer vertrauenswürdig genug ist, dass ihm die Fahrzeugtür geöffnet wird.

Auch der neue Boyle ist wieder sehr unterhaltsam, erschreckend unterhaltsam. Währenddessen kommen die Einschläge näher. Aber der Heilige Florian wird schon dafür sorgen, dass es nicht in unserem eigenen Hinterhof kracht.

T. C. Boyle. I Walk Between Raindrops. Hanser, 270 Seiten, 25,70 Euro.

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