Nach etlichen Applausrunden schnappt sich Fritzi Haberlandt ganz zum Schluss noch das Textbuch der Souffleurin und schwenkt es über ihrem Kopf, die Geste ist ein öffentlicher Dank an die abwesende Autorin, die sich natürlich niemals vor Publikum verbeugen würde, und selbstredend brandet der Jubel da noch einmal heftig auf: für Elfriede Jelinek und für ihren Text „Angabe der Person“, der nun, anderthalb Jahre nach der Uraufführung am Deutschen Theater in Berlin, als Festwochen-Gastspiel im fast vollen Wiener Volkstheater zu sehen ist. Im Vorjahr wurde Jossi Wielers Inszenierung bei der Nestroy-Preisverleihung als „Beste Aufführung im deutschsprachigen Raum“ geehrt. Berechtigte Lorbeeren, das zeigte sich am Mittwoch, der ersten von drei Wiener Vorstellungen.
„Angabe der Person“ erzählt von einer Steuerprüfung, mit der die deutsche Finanz die in München und Wien ansässige Autorin sechs Jahre lang drangsalierte, ehe die Ermittlungen ergebnislos eingestellt wurden.

„Nach mir ist es unwiderruflich aus mit den Jelineks“

Für Jelinek („Ich entziehe mich lieber selbst, bevor ich etwas hinterziehe“) wird diese Zumutung nicht nur Anstoß zur Abrechnung mit Pedanterie und Beharrungsvermögen des deutschen Fiskus. Dass sie sich von einem sturen Beamtenapparat, der sich Zugriff zu ihrem Privatleben genauso wie zu ihren „Schrifterln“ verschafft, verfolgt fühlt, macht Jelinek hier zum Anlass einer intensiven Auseinandersetzung mit dem einst tatsächlich verfolgten jüdischen Teil ihrer Familie; anspielungsreich und in typischen Wortspielkaskaden erzählt sie von ihrem Onkel Adalbert, der knapp das KZ Dachau überlebte und sich nach dem Krieg im Gasherd das Leben nahm, und von seinem Sohn, ihrem Cousin Walter, den nur ein rettender Flug in die Schweiz vor Celans „Grab in den Lüften“ bewahrte. Dass sie selbst einmal Arthur Seyß-Inquart mit Baldur von Schirach verwechselte, wird Ausgangspunkt einer wütenden Abrechnung mit einer Nachkriegsgesellschaft, die den Familien der Naziverbrecher bereitwilligst mit allerlei Vergünstigungen entgegenkam, während die Opfer jahrzehntelang um Restitution ringen mussten. Reflexion über die Familiengeschichte („Nach mir ist es unwiderruflich aus mit den Jelineks“) und den Anspruch, den Toten Gehör zu verschaffen, über die eigene „Lebenslaufbahn“ als Autorin, die nicht vergessen und nicht vergeben will, konturieren den Text, dessen szenische Gestaltung Jelinek seit jeher ganz der Regisseurin, dem Regisseur überlässt.

Jossi Wieler entschied sich für eine Bearbeitung jenseits injizierter Handlung oder grandioser Theaterbilder. Statt den Text zu möblieren, konzentriert er sich auf der spartanisch ausgestatteten Bühne ganz auf dessen Ausgestaltung – und hat dafür in Fritzi Haberland, Linn Reusse und Susanne Wolff drei fantastische Schauspielerinnen zur Hand, die als angedeutete Jelinek-Alter egos und großteils in Monologen zweieinhalb atemberaubende Stunden lang den Text zum Knistern, Sprühen, Funken schlagen bringen. Jelinek als Stand-up, schwarf wie immer, aber so witzig und privat wie noch nie.  

Weitere Termine: 6. und 7. Juni, 19.30 Uhr, Volkstheater Wien.
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