Geht es nach dem Intendanten der Wiener Festwochen, Milo Rau, machen die „Wiener Prozesse“ eine Pendelbewegung: „Zuerst in der Mitte, dann nach rechts und am Ende nach links.“ Wurden zum Auftakt des Dokutheaterformats die Coronamaßnahmen der Bundesregierung verhandelt, geht es am kommenden Wochenende (7. - 9. Juni) um „Anschläge auf die Demokratie“, die man vor allem auf der Seite der FPÖ vermutet. Am Ende sollen sich dann die Wiener Festwochen selbst verantworten müssen.

„Das Format ist absolut ergebnisoffen“, versicherte Rau, der sich über den Verlauf der ersten Prozesstage im Odeon sehr zufrieden zeigte, am Dienstag bei einer Pressekonferenz in dem temporär zum „Haus der Republik“ umfunktionierten Volkskundemuseum. Es sei aber heute schwieriger als bei früheren von ihm organisierten „Prozessen“, Menschen unterschiedlicher Haltungen zusammenzubringen: „Versöhnung gilt als Verrat.“ Entsprechend berichtete Dramaturg Robert Misik von vielen, vielen Gesprächen, die notwendig seien, um die Zeugenliste zusammenzubringen.

„Keine Anwaltshonorare“

Prominente Engagements sind für den Vorsitz und die Verteidigung gelungen. Barbara Helige, die ehemalige Präsidentin der österreichischen Richtervereinigung, agiert als Vorsitzende. „Ich war fast 40 Jahre Richterin in Verhandlungen, so wie sie jetzt am Wochenende stilisiert nachempfunden werden. So groß ist der Unterschied nicht“, meinte sie. „Ich habe die Atmosphäre in einem Gerichtssaal immer geschätzt, weil die Leute einander zuhören müssen. Was ich ebenfalls schätze, ist der Erkenntnisgewinn: Ich hab aus meinen Verfahren viel gelernt.“ Helige legte ihr Honorar offen: Für Vorbereitung und die drei Prozesstage erhalte sie ein Pauschalhonorar von 3.000 Euro. „Die Gagen bewegen sich in einem eher lächerlich-symbolischen Bereich“, meinte Rau dazu. Man könne „keine Anwaltshonorare“ zahlen. In ähnlicher Größenordnung dürfte sich auch das Honorar von Frauke Petry bewegen. Die ehemalige AfD-Vorsitzende übernimmt die Verteidigung. Als Ankläger agiert wie am ersten Gerichtswochenende Anwalt Alfred Noll.

Einer der Zeugen, die ins theatrale Kreuzverhör genommen werden, ist Sicherheitsberater Julian Hessenthaler, dessen „Ibiza-Video“ die Republik erschütterte. „Ich fand den Zugang interessant und wertvoll, unterschiedliche Positionen zu präsentieren und miteinander zu diskutieren“, sagte er. Er erhoffe sich eine neue Erfahrung. Zu seinen Erwartungen entschlug er sich bei der Pressekonferenz der Aussage: „Ich bin Zeuge, dementsprechend habe ich keine Hoffnung und keine Ambition.“

Überraschend wird sich neben Ex-FPÖ-Verteidigungsminister Friedhelm Frischenschlager, den Journalisten Hans-Henning Scharsach und Hans Rauscher und dem ehemaligen BVT-Direktor Peter Gridling auch Ariel Muzicant im Zeugenstand einfinden. Der Ex-Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde Wien (IKG) hatte die Festwochen-Einladung an den Philosophen Omri Boehm, auf dem Judenplatz eine Rede zu halten, scharf kritisiert. „Das ist eine Zusage, die uns glücklich macht“, sagte Misik. „Vor drei Wochen hat er noch gesagt, er würde Eier auf uns werfen - und jetzt ist er da.“ Es sei schwierig gewesen, Protagonisten der FPÖ zur Teilnahme zu gewinnen, berichtete Misik. Die Zahl der Zeugen pro Seite sei aber nicht entscheidend, versicherte Helige. Ihr Kommen zugesagt haben die Ex-Politikerinnen Ursula Stenzel und Heide Schmidt - letztere als Eröffnungsrednerin am Freitag.

Verhandelt werden soll eine mögliche „Demokratiegefährdung“ durch die FPÖ. „In drei Sitzungen befragt die Anklage das Verhältnis von Art 9 Z 2 StV Wien und § 1 PartG und stellt es in Verbindung zur Vergangenheit und Gegenwart der FPÖ sowie der allgemeinen Radikalisierung der Gesellschaft“, heißt es seitens der Festwochen. In der angesprochenen Staatsvertragsbestimmung verpflichtet sich Österreich, „alle Organisationen faschistischen Charakters aufzulösen, die auf seinem Gebiete bestehen, und zwar sowohl politische, militärische und paramilitärische, als auch alle anderen Organisationen, welche eine irgendeiner der Vereinten Nationen feindliche Tätigkeit entfalten oder welche die Bevölkerung ihrer demokratischen Rechte zu berauben bestrebt sind“. Im Parteiengesetz wird die grundlegende Bedeutung der Parteien für die Demokratie betont. Die „Anklage“ beantragt die Untersuchung, ob die staatliche Parteienförderung für die FPÖ zu Recht besteht oder aufgrund der staatsvertraglichen Verpflichtung, gegen demokratiefeindliche Organisationen vorzugehen, davon auszuschließen wäre.

Nachdem es bei der „Urteilsverkündung“ der aus sieben Mitgliedern des „Rats der Republik“ bestehenden Geschworenenjury am ersten Prozesswochenende zu Unklarheiten gekommen war, sollen die genauen Fragen-Formulierungen und das Prozedere der Schlusssitzung nachgeschärft werden. Am letzten Prozesswochenende (14. bis 16. Juni) sollen dann u.a. die Wiener Festwochen des Fördermissbrauchs angeklagt werden. „Es ist ein gefährliches Format“, sagte Rau. „Ich fürchte mich schon vor dem dritten Prozess, wo ich selbst in den Zeugenstand treten und wahrheitsgemäß antworten muss.“ Die Frage, ob er wirklich in den Zeugenstand treten oder vielmehr auf der Anklagebank sitzen wird, ist dramaturgisch freilich noch nicht endgültig geklärt. Man wolle „einen zu hohen Grad der frivolen Selbstbezüglichkeit“ vermeiden, versicherte Misik: „Nach der Behandlung der großen Fragen der Zeit wollen wir keine Festwochen-Kasperliade zum Abschluss.“