Liebe überwindet alle Grenzen – das mag ein oft gehörtes Mantra sein. Doch es gibt Grenzen, die darf sie nicht überschreiten. Einer solchen widmet sich Todd Haynes in „May December“. Eine elegante Frau (Natalie Portman) kommt in Savannah, Georgia, an. Es gibt etwas Unangenehmes, das sie erledigen muss. Gleichzeitig steht eine andere Frau (Julianne Moore) in der Küche ihres luxuriösen Familienhauses und bereitet ein BBQ vor.

Kurz darauf werden sie einander treffen. Denn erstere, die Schauspielerin Elizabeth Berry, soll in einem geplanten Indie-Biopic die zweitere, Gracie Atherton, spielen. Warum ist Gracie so interessant? Vor 20 Jahren, im Alter von 36, hatte Gracie eine Affäre mit einem Angestellten in der Tierhandlung, wo sie arbeitete. Nur war dieser Angestellte der erst 12-jährige Joe, ein Bekannter ihres gleichaltrigen Sohnes. Als die Affäre ans Licht kam, wurde Gracie verurteilt. Während die Presse das Thema unbarmherzig durchkaute, blieben Gracie und Joe (Charles Melton) zusammen. Nun stehen sie aber nicht nur vor der Situation, dass Elizabeth in ihr Leben stolpert. Auch die drei gemeinsamen Kinder verlassen das Zuhause.

Warum Gracie es erlauben würde, dass Elizabeth sie einige Tage beobachtet, muss wohl ein Mysterium bleiben. Aber es gibt Regisseur Haynes die Möglichkeit, durch die Interaktion, die kleinen Blicke und Kommentare den Horror der Konformität und der uns zurecht gelegten Rituale zu durchleuchten. Gracie und Joe wirken auf den ersten Blick gut integriert. Pfeiler ihrer Gemeinschaft. „Ist sie das?“, fragt aber auch Gracies Anwalt Elizabeth. Und wahrlich, hinter all dem kuratierten bescheidenen Leben liegen Schmerz, falsche Höflichkeit sowie Fragen, die nie angeschnitten wurden.

Eiskaltes Kalkül

Joe ist nun selber 36. Seine gutmütige Natur wird zum Spielball beider Frauen. Denn Elizabeths zunächst unschuldig scheinende Natur ist ebenfalls ein vorgeschobener Spiegel. Tief darunter lauert eine fast raubtierhafte Besessenheit, sich Gracie als Figur anzueignen; zu leben. Dem gegenüber steht Gracie, deren Balance zwischen sich keiner Schuld bewusst sein und eiskaltem Kalkül eine Meisterleistung Moores ist.

Inspiriert wurde die Geschichte übrigens von dem wahren Fall der Mary Kay Letourneau. Haynes interessiert sich aber nicht für die Vergangenheit. Er konzentriert sich auf die Gegenwart, die Nachwehen und Entscheidungen. Und die Beziehungen, die sich daran aufreiben.

Bewertung: ●●●●○

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