Draußen am bummvollen Wiener Rathausplatz erklangen Fanfaren, auf den Bildschirmen eine Störung. Drei Menschen mit Sturmhauben im Rathaus drängten sich ins Bild, sie saßen da, rissen sich ihre Sturmhauben zu Gesicht und gaben sich zu erkennen: Es handelte sich um den neuen Festwochen-Intendanten Milo Rau, Schauspielerin Bibiana Beglau und Musiker Herwig Zamernik alias Fuzzman. „Hallo, hier spricht die freie Republik Wien, direkt aus dem Rathaus“, sagte Beglau. Und fuhr fort: „Wir kommen in Frieden“. Musik setzte ein, der Chor der Republik enterte die Bühne und die drei stürmten die Rathausstiege hinunter – mit großen, pathetischen und augenzwinkernden Gesten. Ein paar umgerannte, fingierte Beamtinnen und Beamten mit ihren Aktenordnern später, erklommen auch sie die Bühne.

Ein Auftakt als Polithappening

Es sind die ersten Festwochen unter der künstlerischen Leitung von Milo Rau und sie erregten schon im Vorfeld, führten zu Debatten, Kritik bis hin zu parlamentarischen Anfragen. Es wird also wieder über die Festwochen gesprochen und gestritten. Und das ist erstmals nicht das Schlechteste. „Vorbei ist die Zeit der Hinterzimmer und Gremien“, jubelte Rau an einem Abend, der nicht an Revolutionskitsch spart, der bunten Publikumstruppe zu. Der Theatermacher trat an, Kontroversen anzuzetteln und auszuloten – auch mit dieser kurzweiligen Eröffnung. Und die Kritik vonseiten der Wiener ÖVP folgte prompt nach Ende der Show.

„Aller Farben ist das Glück“ lautete das Motto des Abends, der einiges an Aufstand, Aufschrei und Aktionismus bot und zwischen Polithappening, Protestformen der Gegenwart und großen Stars changierte. Auch Spuren von Brechtschem Theater waren zu vernehmen. In einigen Momenten machte diese Eröffnung der Festwochen einfach nur glücklich, in anderen ließ sich die Masse zum Tanzen und Mitsingen anspornen und manchmal lauschten alle sehr still den Statements von Elfriede Jelinek, Srécko Horvat, Sibylle Berg oder Carola Rackete.

„Wer sich auf der Flucht befindet – vor welcher Gewalt auch immer – ist herzlich willkommen in der freien Republik“, betonte Kid Pex. „Geschwister, denkt mit, regiert mit, träumt mit“, schwor Dagmar Höfferer, pensionierte Lehrerin vom Rat der Republik alle ein. Musikalisch bot dieser Auftakt ein Fenster in die Austropop-Gegenwart: Bipolar Femin singen mit Frontfrau Leni Ulrich u.a. in „Süß lächelnd“ und „Sie reden so laut“ gegen Mansplaining und das Patriarchat an, Voodoo Jürgens performt mit seiner Band Ansa Panier „Angst haums“ oder „Federkleid“, Paula Carolina rockt mit „Schreien“ und lädt dann alle auf den größten Schrei von Wien ein. Gustav performte „Alles renkt sich wieder ein!“ Und der musikalische Leiter der Eröffnung, Herwig Zamernik, spielte alias Fuzzman mit The Singin‘ Rebels „Hände weg von Allem“ und „Haltet Abstand“. Und er sagte: „Die Welt ist bunt und so soll sie bleiben“

„Wir haben keine Redefreiheit mehr“

Eine der am meisten erwarteten Künstlerinnen war Diana Burkot von der russischen Punk-Band Pussy Riot. „Demokratie ist keine Selbstverständlichkeit“, sagte sie auf der Bühne. „Mein Land, Russland, hat sie verloren: Wir haben keine Redefreiheit mehr, keine Frauen-, Menschen- und LGBT+-Rechte, keinen unabhängigen Journalismus sondern eine immer effektivere Hass-Propaganda-Maschine.“

Nicht vergessen wurde auch an die Situation in der Ukraine, wo gerade Bomben fielen, an die Menschen, die im Mittelmeer ertrinken, an jene, die Gewalt von Rechtsradikalen erleiden. Der Schweizer Autor Kim de l’Horizon, dessen ausgezeichnetes „Blutbuch“ als „Blutstück“ nun auch in Wien zu sehen sein wird, erinnerte daran, dass es Menschen gäbe, die Staatsbürgerschaften nicht mehr an Identitäten von Mann und Frau gebunden sehen wollten. Wie etwa Song-Contest-Sieger Nemo, mit dem er seine Herkunft teile und dort eben doch keinen Pass besitzen könne: „Am Ende stammen wir doch alle von übermotiviertem Kohlenstoff ab, also sollten wir uns nicht zu ernst nehmen.“ Viel Applaus.

In ihrer ersten Videobotschaft nach dem Erhalt des Literaturnobelpreises 2004 erklärte Elfriede Jelinek: „Unsere unselige Geschichte allerdings ist immer da, aber halt unter dem Boden, und solange man in der üblichen Formelhaftigkeit, die sich längst in uns eingebrannt hat, von ihr spricht. Indem man eben nicht von ihr spricht, sondern von etwas, das tot ist, lebt sie in Wirklichkeit fort“, las sie aus ihrer Rede vor. Und: „Wir stehen vor dem Nichts, wir sind unsre eigene Republikflucht, aber zum Glück konnte sie verschoben werden, in eine andere Republik, in der wir uns besser auskennen als die allseits bekannten Auskenner.“ Die Schriftstellerin und Dramatikerin schloss mit diesem Plan: Die Küche übernehmen wir jetzt. Ich kann zwar nicht kochen, aber ich schaue mir gern an, was rauskommt, und dann möchte auch ich ein Teil davon sein, ohne vom Feuer, das ich vorsichtig umkreise, selbst verzehrt zu werden.“ Großer Applaus.

Bis 23. Juni haben die Festwochen 47 Produktionen und künstlerische Projekten aus den Bereichen Sprechtheater, Oper, Musik, Tanz, Performance, bildende Kunst und Aktivismus im Programm. Zu den bekanntesten Namen zählen u.a. Kornél Mundruczó, Florentina Holzinger, Kirill Serebrennikov oder Tim Etchells. Für die insgesamt geplanten 143 Vorstellungen an 34 Spielorten werden 45.000 Karten aufgelegt.