Und wieder das Wasser, das Meer diesmal. Lebensbedrohliche Naturgewalt, aber auch rettender Anker. Nur im Schwimmen, oft an die Grenzen zum Suizidalen, fühlt sich Ida wohl und lebendig. Mit ihrem Roman „22 Bahnen“ – in dem Ida mit ihrer Schwester Tilda noch im Schwimmbad versuchte, die Zumutungen des Lebens um Längen abzuhängen – schaffte die junge deutsche Schriftstellerin Caroline Wahl im Vorjahr ein sowohl von Kritik als auch Leserschaft hymnisch gefeiertes Debüt. „Windstärke 17“ ist jetzt die Fortsetzung dieser ebenso rauen wie zart-bitteren Familiengeschichte, in dem die 29-jährige Autorin ihrem Ton treu bleibt. Der ist mitunter schnoddrig, wurschtig und teilweise wehleidig, aber nie verunreinigt durch eine aufgesetzte juvenile Lässigkeit. Dafür ist auch der Inhalt zu gewichtig. Es geht um den Tod, eingebildete oder tatsächliche Schuld und vor allem um das Weiterleben unter nicht idealen Umständen.

Man muss „22 Bahnen“ nicht unbedingt gelesen haben, um „Windstärke 17“ zu verstehen – aber es empfiehlt sich sehr. Ida also. Während ihre ältere Schwester Tilda das Leben im Griff hat und mit ihrer Familie inzwischen in Hamburg lebt, hat Ida da diesen riesigen Wutklumpen im Bauch, den sie sich am liebsten rausschneiden würde. Das hängt vor allem mit dem Tod der alkoholkranken Mutter und Idas Umgang damit zusammen. „Ich habe Mama sterben lasssen.“ Wie ein Dämon kreist und brüllt dieser Satz im Kopf des jungen Mädchens, das mit dem Dahindämmern der Mutter maßlos überfordert war, sich aber dennoch die Schuld daran gibt. Zum Begräbnis schafft sie es nicht, die Hilfe der Schwester schlägt sie aus - und ihren eigenen Fluchtweg ein. Dieser führt nach Rügen.

Und wieder das Wasser. An der Ostsee mischt sich das Tosen des Meeres mit dem Toben der jungen Frau. Wer immer ihr zu nahe kommt, wird in die Ferne geflucht. Eines Tages landet Ida im Gasthaus von Knut, einem knorrigen Einheimischen, und beginnt dort zu kellnern. Und auch die Wundheilung setzt langsam ein. Im Haus von Marianne, Knuts Frau, findet sie schließlich Heim und Halt. Und dann wäre da noch Leif, ein junger Mann, ebenso beschädigt und vernarbt wie Ida. Wieder droht Gefahr.

„Windstärke 17“ ist nicht nur eine meteorologische Beschreibung, sturm- und schicksalsgebeutelt sind auch die Lebenswege von Caroline Wahls Figuren. Doch inmitten der Trauer beginnt sich Idas Wutklumpen langsam zu lösen. Nichts wird mehr ganz gut, aber einiges etwas besser. Es liegt ein großer, unsentimentaler Trost in dieser Entwicklung, diesem Fortbestehen. „Weiter geht‘s“, sagt Ida gegen Schluss. Wohin, ist ungewiss. Aber immerhin gibt es eine Zukunft. Sie beginnt natürlich am Wasser.

Caroline Wahl. Windstärke 17. DuMont, 254 Seiten, 25,50 Euro.

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