Eine Schnulze über das Ende einer Liebe, verpackt in ein Swing-Arrangement, vorgetragen von einem Schlagersänger mit Pudelfrisur und überreichlich Schmalz in der Stimme: 1974, im Jahr von Abbas „Waterloo“-Triumph, landete Portugals Song-Contest-Beitrag – ex aequo mit Norwegen, der BRD und der Schweiz – mit blamablen drei Punkten auf dem letzten Platz. Und doch hat Paulo de Carvalhos Liedchen „E Depois Do Adeus“ große Geschichte geschrieben. Wenn auch nicht musikalisch. Denn die landesweite Radioausstrahlung ausgerechnet dieses Lieds markierte den Beginn von Portugals „Nelkenrevolution“ vom 25. April 1974 – so genannt, weil damals die feiernde Bevölkerung die Gewehre der rebellierenden Soldaten mit den Blumen schmückte.

Unblutiger Putsch

Genau heute vor 50 Jahren erzwang ein fast unblutiger Militärputsch das friedliche Ende der jahrzehntelangen faschistischen Diktatur. Die eskalierend autoritäre Politik des Regimes und Portugals nicht enden wollende Kolonialkriege in Afrika bewogen damals „eine kritische Masse von jungen Offizieren in ihren späten Zwanziger- und frühen Dreißigerjahren, ihre Gewehre gegen die eigenen Generäle zu richten und einen Militärputsch anzuzetteln – mit dem vordringlichsten Ziel, den Kriegszustand zu beenden“, schreibt der portugiesische Autor Alex Fernandes in seinem Buch „The Carnation Revolution“, das zum Revolutionsjubiläum bei uns (bisher) nur auf Englisch erscheint.

Für heutige Ohren klingt der Coup fast wie der Plot eines Thrillers: Da der faschistische Staatsschutz den Putschisten Anfang 1974 bereits auf der Spur war, konnten sich die Verschwörer nicht auf damals übliche Kommunikationsmittel wie Telefon oder Telegraf verlassen – aber sie benötigten ein landesweites, Boden-, Luft- und Seestreitkräfte erreichendes Signal für den Beginn der Revolution. Die Lösung: ein Zeichen via Radio. Verbündete in den Medien erklärten sich zur Ausstrahlung bereit. Nur: welches Lied sollte es sein? Tatsächlich zogen die Putschisten zuerst einen populären Protestsong der erstarkenden Demokratiebewegung in Betracht. Unwissentlicher Kandidat als Melodienspender: der Regimekritiker und Aktivist Zeca Afonso. Etliche seiner Lieder hatten ihn bereits ins Gefängnis gebracht oder unterlagen der Zensur. Daher fiel die Entscheidung: Zur Tarnung sollte das Geheimzeichen für den Staatsstreich so unpolitisch wie möglich klingen. Die Wahl fiel auf de Carvalhos Song – gerade wegen seiner Harmlosigkeit: Ein Typ, der davon sang, er habe seine Angebetete „wie eine Blume gepflückt“ und die Liebe sei „ein ewiges Gewinnen und Verlieren“ schien unauffällig genug.

Nelken für die Rebellen: Portugal feierte den Putsch vom 25. April 1974
Nelken für die Rebellen: Portugal feierte den Putsch vom 25. April 1974 © AFP

Am 24. April, eine Stunde vor Mitternacht, ging der Song im katholischen „Radio Renascença“auf Sendung. Der Staatsstreich nahm seinen Anfang, und am 25. April, kurz vor halb sieben Uhr abends, war Europas längstdauerndes Faschistenregime gestürzt.

Als Revolutionslied bis heute unvergesslich wurde in Portugal aber nicht „E Depois Do Adeus“, sondern der zweite Song, den die Putschisten in dieser Nacht zur Bestätigung ihrer Mission in den Äther schickten: „Grandola, Vila Morena“ ein Lied über Freiheit und Brüderlichkeit des oben erwähnten Zeca Afonso. Wer beide Songs hört, wird bestätigen: Er passt einfach wirklich besser.