Kunst und Naturwissenschaft, nicht nur in der Person Leonardo da Vincis gibt es da ein enges Naheverhältnis. Zwar hat sich kulturhistorisch schon seit der Romantik die heute übliche Trennung der Disziplinen etabliert, die künstlerische Auseinandersetzung mit naturwissenschaftlichen Fragen genießt aber Dauerbrisanz. Dass dabei auch eine spirituelle Ebene zum Tragen kommt, ist weniger gängig, aber nicht weniger interessant. Der kanadisch-polnische Filmemacher, Medien- und bildende Künstler Henry Jesionka etwa befasst sich seit längerem mit den Auswirkungen naturwissenschaftlicher Forschung auf die soziale Gegenwart, und er hat dabei „im Christentum einen Lebensanker gewonnen, dessen Codes er nun in einer Weise umsetzt, die nicht nur die letzten Fragen der alten Theologie aufgreifen, sondern vielmehr jene des Überlebens der Menschheit überhaupt.“ Johannes Rauchenberger, künstlerischer Leiter der Grazer Minoriten, stellte das letztes Jahr anlässlich von Jesionkas multimedialer Ausstellung „Fleeing Shadows“ in seinem Haus fest: Die widmete der Künstler den Wissenschaftlern Robert Oppenheimer und Stephen Hawking und den Auswirkungen ihrer Erkenntnisse auf Mensch und Planet.

Ausstellung  „Fleeing Shadows“ 2023 in Graz
Ausstellung „Fleeing Shadows“ 2023 in Graz © Henry Jesionka

Für die drei Titelseiten, die Jesionka von Karfreitag bis Ostersonntag für die Kleine Zeitung gestaltet hat, befasste er sich mit einem weiteren maßgeblichen Denker unserer Zeit: dem britischen Mathematiker, Physiker und Kosmologen Roger Penrose, der 2020 für seine Forschungen über Schwarze Löcher mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde.

Zwei Formen und die Unendlichkeit

Nebst Erkenntnissen etwa über Raumzeit, Künstliche Intelligenz, Quantenphänomene oder die Zyklizität des Universums entdeckte Penrose auch das Phänomen der nach ihm benannten Penrose-Kacheln: Mit nur zwei unterschiedlichen Rautenformen lassen sich unendliche Ebenen bedecken, ohne dass sich die Muster jemals auf die exakt selbe Weise wiederholen.

Penrose-Projekt im kanadischen Vancouver
Penrose-Projekt im kanadischen Vancouver © Henry Jesionka

Das hat Jesionka aufgegriffen, vor einiger Zeit für die künstlerische Gestaltung einer öffentlichen Plaza in Vancouver. Und nun für die drei Titelseiten, mit denen die Kleine Zeitung traditionell die Tage von Karfreitag bis Ostersonntag, das Wunder von Jesu Tod und Auferstehung markiert. Dass die Penrose-Rauten unsere angeborene Tendenz herausfordern, Regelmäßigkeiten zu entdecken, habe ihn fasziniert, sagt der Künstler: „Die Kacheln verleiten zu endloser Erkundung, weil das Auge nach nichtvorhandenen Wiederholung sucht.“ So wie fallende Regentropfen, die auf einer Wasserfläche immer neue Muster erzeugen, fordern die komplexen Muster der Penrose-Kacheln die menschliche Wahrnehmung heraus: Ordnung und Chaos, Symmetrie und Asymmetrie vereinigen sich zur „lebendigen Geometrie“. In deren aperiodischer Ordnung findet Jesionka die Inspiration für die Reflexion über den Zusammenhalt des Universums, über Raumzeit, Masse, Energie. Mit den Penrose-Rauten auf den Titelseiten der Kleinen Zeitung bildet er dieses „Gewebe der Wirklichkeit“ ab und verflicht sie mit spirituellen Fragen.

Henry Jesionka:  „Die Kacheln verleiten zu endloser Erkundung, weil das Auge nach nichtvorhandenen Wiederholung sucht“
Henry Jesionka:  „Die Kacheln verleiten zu endloser Erkundung, weil das Auge nach nichtvorhandenen Wiederholung sucht“ © Noemí Conesa

Keine Überraschung: Jesionka, als Kind polnischer Einwanderer in Kanada aufgewachsen, studierte Physik, ehe er sich der Kunst zuwandte. Bis heute, sagt er, „befassen sich viele meiner Installationen, Performances und Ausstellungen eingehend mit den Überschneidungen von Kunst und Wissenschaft, sowohl inhaltlich als auch in ihrer Ausführung.“ Absichtsvoll spielen in seiner Kunst auch religiöse Komponenten eine Rolle: „Ich bin praktizierender Katholik und denke, dass ich als Künstler das Recht und die Verpflichtung habe, die Codes aus der reichen Bildsprache meines Glaubens mit zu verarbeiten.“ Anleihen an die Ikonenmalerei finden sich in seinem Werk ebenso wie Motive etwa der Dreifaltigkeit oder die „Mandorla“, die mandelförmige Gloriole rund um Christus- oder Mariendarstellungen. Die ist auch auf dem heutigen Titelbild zu sehen (siehe Künstler-Statement hier) – als Sinnbild der „heilenden Wunde“.

„Das Staunen neu entdecken“

Jesionkas Arbeiten helfen „das Staunen neu zu entdecken, auch in Bezug auf die Naturwissenschaften und ihre unglaublichen Erkenntnisse“, sagt der Innsbrucker Bischof Hermann Glettler. Er und Jesionka sind seit der Zeit befreundet, in der der Priester und Künstler eine Grazer Pfarre leitete; zur Fastenzeit lud er Jesionka jüngst zur Ausgestaltung der Innsbrucker Universitätskirche ein. Der hängte eine tiefschwarze Satellitenschüssel wie ein schwarzes Loch vor den Altar. Für Glettler eine Aufforderung, „sich auch mit der Dunkelheit, die wir in uns tragen auseinanderzusetzen… warten zu können, still zu werden, um Gottes Gnade und Hilfe zu bitten.“

„Black Holes“ in Innsbruck
„Black Holes“ in Innsbruck © Henry Jesionka

Für Jesionka selbst braucht es solche finsteren Seiten: „Fromme Menschen, die ihre Schattenseiten nicht wahrhaben wollen, sind mir suspekt.“ Er selbst lebt seit Jahren auf zwei Seiten des Planeten, sowohl in Österreich als auch in Kanada: in Graz als Künstler, in Toronto als Requisitenbauer für die Filmindustrie. Seine Verbindung zu Österreich nennt er „schicksalhaft“. Peter Weibel engagierte ihn 1989 für den steirischen herbst, dabei lernte er den heutigen Leiter von La Strada kennen, Werner Schrempf. Der holte ihn 2009 aus New York zurück nach Graz. Seither habe er hier viele enge Freunde gefunden, erzählt er, und dazu großartige Techniker und Handwerker, „ohne die ich meine größeren Arbeiten gar nicht umsetzen könnte.“ Knapp vor Ostern ist er aber nach Toronto abgereist, zum Arbeiten, aber auch, um „kanadische Sachen“ zu machen; Kajak fahren, fischen, Hockeyspiele besuchen. Manches Gewebe der Wirklichkeit braucht nämlich doch fixe Muster.