Bereits das Zitat von Imre Kertész, das diesem Roman vorangestellt ist, lässt erahnen, dass es finster wird im Menschenwald von Valerie Fritsch. „Jedes Leben richtet sich an jemanden, und insofern – und nur insofern – ist es ein sinnvolles Leben, wenn auch den Sinn des Lebens selbst völlige Finsternis umgibt.“ Die Leben, die Fritsch in ihrem neuen Roman „Zitronen“ beschreibt, gleichen einem riesigen Krater aus Verletzungen, Verbrechen – und Wunden. Fast mystisch-märchenhaft mutet das an, das Wissen um ein böses Ende ist inkludiert.

Dennoch liegt inmitten all dieser Verheerungen und Verwünschungen eine ungemeine Kraft; genährt aus der verzweifelten Hoffnung, der gewalttätigen Fremdbestimmtheit zu entkommen. August Drach, die taumelnde und von seinen Eltern deformierte Hauptfigur in Valerie Fritschs Roman, ist ein Gezeichneter, der sich nach diesem sinnvollen Leben sehnt, es auch kurz greifen kann, doch letzten Endes muss er feststellen: „Das Rettende wuchs nirgendwo.“

Da ist er wieder, der typische Fritsch-Sound, der nach keiner „Schreibschule“ klingt und der völlig autonom im literarischen Garten blüht. Die formvollendete, kunstvolle Sprache kontrastiert harsch mit dem Grauen des Geschilderten, Erzählten. Poesie trifft auf Brutalität, in diesem Spannungsfeld – das in Wahrheit keines ist – liegt die hypnotische Tiefenwirkung ihrer Romane. Jeder Moralismus ist Fritsch fern, immer gesteht sie ihren Menschen die gesamte Bandbreite der Empfindungen zu, ihr Reich liegt jenseits von Gut und Böse.

In diesem Sinn erfährt auch August Drach eine Erlösung; jene, sich aus der Fremdbestimmung zu lösen. Dadurch gibt ihm Fritsch jene Würde, die ihm nie zugestanden wurde. Das Rettende, Valerie Fritsch lässt es doch keimen. Und immer wieder durchzieht der Duft von Zitrusfrüchten das Geschehen. Es liegt in der Natur der Sache oder vielmehr: der Menschen, dass am Ende dennoch ein Flächenbrand im Hain der Zitronenbäume herrscht.

Valerie Fritsch. Zitronen. Suhrkamp, 186 Seiten, 25,50 Euro.