Wer die Romane Zeruya Shalevs (Liebesleben, Mann und Frau, Späte Familie) kennt, weiß, dass es bei der israelischen Bestseller-Autorin immer leidenschaftlich und in erotischen Belangen oft recht explizit zugeht. Auch in ihrem neuen Roman „Nicht ich“, der - weil bereits vor 30 Jahren geschrieben - eigentlich ein alter Text ist, geht es um Begehren und Verlust, um Ängste und Träume, die die Erzählerin in einen assoziativen Strudel reißen. Stringente Handlung gibt es nicht in diesem grotesken, atemlosen Gedankenstrom einer an sich selbst leidenden Frau, die Mann und Tochter für einen Liebhaber verlassen hat: „Ich beneide all die Glücklichen, die leicht sterben. Ich sterbe langsam, so langsam, dass man es nicht spürt.“ Einmal hat die Protagonistin plötzlich eine Glatze, dann verwandelt sich ihr Vater in den Kuckuck einer Kuckucksuhr, ihr Mann bekommt ihre Gebärmutter eingepflanzt und wird schwanger. Ihre Mutter vergisst stets den Namen der Tochter, und auch einen Ex-Liebhaber samt französischer Konkubine gibt es.

Um nicht unterzugehen im Versuch, diese Sturzflut an surrealen Bildern zu entschlüsseln, lässt sich die Leserin am besten darauf ein: „Als ich zu ihnen zurückkehrte, musste ich pinkeln. Ich ging in die Toilette und sah, sie war schon Jahre nicht benutzt worden. Die Ascheschicht auf der Klobrille reichte mir bis zum Hals.“

Der Seelen-Striptease infolge der Flucht aus ihrer Ehe ist beklemmend, manche der vor Jahrzehnten geschriebenen Passagen sind angesichts der aktuellen politischen Ereignisse schlicht unheimlich. Etwa, wenn von unterirdischen Gängen unter dem Kindergarten die Rede ist: „Ich bin mir sicher, ab und zu verschwindet in diesen Gängen unbemerkt ein Kind.“

Auch in den zuerst in deutscher Sprache veröffentlichten, jüngeren Romanen Shalevs ist die ständige Terrorbedrohung, das Gefühl der Ohnmacht unterschwellig präsent. Man weiß, dass die Autorin selbst 2004 beim Anschlag eines Selbstmordattentäters verletzt wurde - und liest ihren überraschenden Debütroman gleich mit anderen Augen. 

Zeruya Shalev. Nicht ich. Aus dem Hebräischen von Anne Birkenhauer. Berlin Verlag, 208 Seiten, 24 Euro.