Noch vor dem Kapitel über die Kindheit die Koks-Story. Keith Richards ist clever und weiß genau, wie er mit seinem eigenen Mythos umgehen muss. Seine mehr als 700 Seiten dicke Autobiografie „Life“ (2010) beginnt mit der ausführlichen Schilderung davon, wie er und seine Stones-Kumpels während einer US-Tour im Jahr 1975 – „eine brutale und aggressive Zeit“ – im Bundesstaat Arkansas von der Polizei angehalten und festgenommen wurden. Die US-Cops jubelten, denn ihnen waren jene Jungs, die die Jugend in England zur Rebellion aufgerufen hatten, ins Netz gegangen. Und, wie sie es nicht anders erwartet hatten: Das Auto der Musiker war bis oben hin voll mit Drogen.

Vom Chorknaben zum Rebellen

Erst nach dieser Episode schreibt sich Keith Richards ins englische Dartford im Jahr 1943 zurück, wo er am 18. Dezember als einziger Sohn des Industriearbeiters und Kriegsveteranen Herbert „Bert“ Richards und dessen Ehefrau Doris Maud auf die Welt kam. Sein Großvater mütterlicherseits, Augustus Theodore („Gus“) Dupree, der während der 1930er Jahre in Jazzbands gespielt hatte, weckte bei dem kleinen Keith das Interesse am Gitarrenspiel. „Er hatte da diese Gitarre an der Wand hängen. Und er zog mich jahrelang damit auf, dass ich meinen Blick nicht von diesem verdammten Ding wenden konnte – bis er an dem Punkt angelangt war, zu sagen ‚Wenn du an sie drankommst, dann lasse ich dich damit spielen‘“, schreibt Richards in seiner Autobiographie „Life“. Dieses Kindheitskapitel ist übrigens mit folgenden Schlagworten versehen: „Gus bringt mir den ersten Lick auf der Gitarre bei. Ich lerne, Prügel einzustecken und bezwinge später den Schulhofschläger der Dartford Tech. Durch Radio Luxemburg entdecke ich Elvis. Ich verwandle mich vom Chorknaben zum Rebellen und werde von der Schule verwiesen.“

Rolling Stones | Und dann waren es nur noch drei: Ron Wood, Mick Jagger, Keith Richards
Rolling Stones
| Und dann waren es nur noch drei: Ron Wood, Mick Jagger, Keith Richards © IMAGO

Auch hier wieder die bewusste Legendenpflege. Obwohl tatsächlich viel von einem Rebellen in ihm steckt, versteht es Richards gut, mit seinem Image zu spielen. Und um es gleich vorweg zu nehmen: 18 Jahre nach seiner Geburt, genau am 17. Oktober 1961, wird Keith Richards auf dem Bahnsteig von Dartford einen gewissen Mick Jagger, den er bereits von der Schule her kannte, treffen und mit ihm über jene Blues-Platten fachsimpeln, die Jagger unterm Arm trägt. Nur knapp ein Jahr später tritt eine Gruppe namens Rolling Stones das erste Mal unter diesem Namen im Londoner Marquee Club auf. Der Rest ist vielfach zitierte Rockgeschichte.

80. Geburtstag trotz Sex, Drugs and Rock n´ Roll

An diesem Montag also wird der ehemalige Chorknabe aus Dartford (Kent) 80 Jahre alt, und das grenzt für viele an ein biologisches Wunder. Denn wie kaum ein anderer in der nicht eben drogenarmen Rock-Szene ist Keith Richards der personifizierte Inbegriff der säkularen Dreieinigkeit Sex, Drugs and Rock ‚n‘ Roll. Typen wie er, Junkies wie aus dem Lehrbuch, werden üblicherweise nicht so alt. Und tatsächlich hat Richards in jungen und „mittelalten“ Jahren alles an Drogen konsumiert, was in Reichweite war. Vom „harten Zeug“ ist er freilich längst weg, und sogar das Rauchen hat er inzwischen aufgegeben. Ab und zu ein Glas Rotwein genehmige er sich aber nach wie vor, wie Richards – in zweiter Ehe mit Patti Hansen verheiratet, Vater von vier längst erwachsenen Kindern und Opa von zahlreichen Enkelkindern – in Interviews gerne grinsend krächzt. Dass Richards 1998 in seiner riesigen Bibliothek von der Leiter stürzte, von einem Buch getroffen wurde und sich bei diesem Unfall mehrere Rippen brach, hat damals nach einer Schrecksekunde der Sorge für viel Gelächter und Häme gesorgt. Richards und Bücher, das konnte doch nur ein Witz sein und passte überhaupt nicht zum Klischee.

Keith Richards Patti Hansen | Keith Richards und seine Frau Patti Hansen
Keith Richards Patti Hansen
| Keith Richards und seine Frau Patti Hansen © Www.photopress.at

Denn das Rockgeschäft ist eine große, bunte, kunstvolle Inszenierung; ein grandioses, wohlüberlegtes Rollenspiel, eine meist schwer durchschaubare Mischung aus Dichtung und Wahrheit. Und die Rollen waren beim Kreativkraftwerk Jagger/Richards immer klar verteilt. Mitglieder von Rockbands – das war bei den Beatles ähnlich – werden gerne mit Körperorganen verglichen. Demnach ist Mick Jagger – er feierte übrigens im Juli seinen 80er – immer das Hirn der Band gewesen, der charismatische Frontmann; aber auch der organisierte, strukturierte, etwas kühle Pragmatiker. Keith Richards hingegen wird als Herz der Rolling Stones gesehen; als liebenswerter, sogar etwas schüchterner Chaot; als cooler, hochempathischer Zausel, von dem Marianne Faithfull einmal gesagt haben soll, dass sie ihn geliebt habe – mit Jagger hingegen nur geschlafen. Ob all der Mythen, Legenden, Rollenspiele und Klischees wird oft und gerne vergessen, dass Keith Richards ein genialer Songwriter (fast alle großen Stones-Hadern stammen aus der gemeinsamen Jagger-Richards-Feder), grandioser Gitarrist (man muss sehr gut sein, um so schräg zu klingen) und (seien wir gnädig) bemühter Sänger ist. In diesem Sinne: Happy Birthday, alter Chorknabe.