Videostill aus einem Archivfilm: Wissenschaftler untersuchen das Radon im Heilstollen Bad Gastein
Videostill aus einem Archivfilm: Wissenschaftler untersuchen das Radon im Heilstollen Bad Gastein © steirischer herbst
Ian Hamilton Finlays Grafiken im Künstlerhaus
Ian Hamilton Finlays Grafiken im Künstlerhaus © (c) Mathias Voelzke

Während des Zweiten Weltkriegs ließen die Nazis Zwangsarbeiter in Bad Gastein einen Stollen graben, weil man dort ein Goldvorkommen vermutete. Stattdessen fand man das Element Radon. Knapp nach dem Krieg nahm die medizinisch-ökonomische Verwertung des radioaktiven Stoffes ihren Anfang, 1952 wurde ein Heilstollen errichtetet.
Daniel Mann und Eitan Efrat erzählen im Forum Stadtpark diese Geschichte in der dokumentar-essayistischen Installation „Rn“. Solch kritische Auseinandersetzung mit heute allgegenwärtigen Lifestyle- und Reklame-Begriffen wie „Wellness“ und „Genussregion“ zählt ja auch zu den diversen Intentionen von „Grand Hotel Abgrund“. In ebendiese Kategorie fallen auch die Thomas-Bernhard-Kugeln, die der herbst (ziemlich teuer) verkauft: Das Künstlerduo Elmgreen & Dragset ließ dabei die Mozartkugel (Marzipan-Nougat-Schokolade) gewissermaßen auf links drehen und ironischerweise bei der Schokoladen-Manufaktur Zotter produzieren.
Von der sogenannten „Hochsteiermark“ bis zur „steirischen Toskana“ im Süden: Für herbst-Intendantin und Chefkuratorin von „Grand Hotel Abgrund“ Ekaterina Degot böte die Steiermark viele Anknüpfungspunkte, um diese touristischen Außendarstellungen und Marken zu beleuchten. Dass Degot bei „Rn“ die kuratorische Bahn wiederum in Richtung Faschismus (die Zwangsarbeit, die Alpen, die Vaterlandsliebe usw.) umbiegt, wirkt da fast schon eindimensional historisierend.

Abgründigkeiten anderer Art inszeniert Michael Portnoys ab 18 Jahren zugängliche Videoinstallation „Progressive Touch Series 1“ in der List-Halle: Die Eintönigkeit des „alten Rein-Raus-Spiels“ (© Anthony Burgess, „A Clockwork Orange“) wird mithilfe von zeitgenössischen Tanz-Moves, den dramatischen Gesten großer Pop-Bühnenshows und drängender Rockmusik gebrochen. Großes Kino, das erst auf teils saukomische Weise aus der Pornografie sattsam bekannte Bilder zu unterlaufen scheint, in seiner monotonen Zeigefreudigkeit aber letztlich ambivalent bleibt.

Vielschichtiger ist da Giorgi Gago Gashodzes Videoinstallation „Die unsichtbare Hand meines Vaters“ im Palais Attems: Seit eine Mischmaschine seinem Vater in Portugal eine Hand abriss, hat dieser ein Auskommen als Invalide: Die „Phantomhand“ arbeitet für ihn weiter. Eine gelungene Meditation um prekäre Lebensverhältnisse, Arbeitsmigration, Marktgesetze, Globalisierung.

Wie Totalitarismus und Aufklärung, Gewalt und vermeintliche Humanität zusammenhängen, thematisieren die Grafiken von Ian Hamilton Finlay im Künstlerhaus: Der Terror der Französischen Revolution ist Grund, über die „Dialektik der Aufklärung“ zu polemisieren: Da werden klassisch proportionierte Säulen zu Geschützläufen, die Guillotine von lieblichen Rokoko-Blumen umrankt.
Jene „Dialektik der Aufklärung“, die Philosophen und Bewohner des „Grand Hotel Abgrund“ als Denkmodell entwickelt hatten (Marxist Georg Luckacs attackierte mit dem Begriff die praxisfernen Intellektuellen der Frankfurter Schule), jene „Dialektik“ scheint auch zum Merkmal des herbst selbst zu werden. Denn die Kunst zählt zu jenen Instrumenten, die uns zwar erlauben, das zu durchschauen, was falsch und katastrophal läuft, aber bildet zugleich jenen Rückzugsort, von dem aus man bequem ebendiesen Abgrund zu betrachten vermag: Der steirische herbst selbst, scheint hier Degots subliminale Botschaft zu sein, ist das dekadente Grand Hotel, das am Abgrund steht.

Dass dieser Abgrund bedrohlich nahe ist und uns als Realität eventuell schon umgibt, zeigt Artur Zmijewskis Installation „Plan B“ in einem Leerstand der Grazer Girardigasse: Hinter der Fassade einer Änderungsschneiderei befindet sich ein Versteck, ein Refugium politisch Verfolgter. Der Abgrund wird dort gegenwärtig.