Wie das Erreichen des Ziels nach einer langen, nervenzehrenden Reise fühlte es sich an, als schließlich der begeisterte Applaus einsetzte. Das Publikum, verantwortungs- und regelkonform im Schachbrettmuster angeordnet, beklatschte eine gelungene Produktion und den Umstand, nach fast 200 Tagen endlich wieder ins Theater gehen zu dürfen.

Wer in der Konstellation, die Clemens J. Setz in seinem Text "Flüstern in stehenden Zügen" zeigt, Parallelen zu Pandemie-Nebenwirkungen sucht, wird fündig. Facetten der Einsamkeit begleiten den Protagonisten, der als "Namenloser" unzureichend beschrieben ist: Die von RaphaelMuff interpretierte Figur nennt sich, wonach ihm gerade ist, und verhält sich, als hätte er eine Mission: Unentwegt ruft er dort an, wo man nicht anrufen soll. Konkreter: Er reagiert auf sogenannte Phishing-Mails - Nachrichten, die darauf aus sind, Gutgläubigen Kontodaten herauszulocken oder sie zu Überweisungen zu überreden. Die Hauptfigur dreht den Spieß um und versucht in unzähligen Gesprächen mehr über die anonymen Stimmen aus den kriminellen Callcentern herauszufinden: Wer bist du, kommst du aus Moldawien, Weißrussland, Bulgarien? Und wollen wir Freunde sein?

Drei Bilder einer Realität: Evamaria Salcher, Raphael Muff und Musiker Grilli Pollheimer.
Drei Bilder einer Realität: Evamaria Salcher, Raphael Muff und Musiker Grilli Pollheimer. © Schauspielhaus Graz/Lex Karelly

Die absurde Konstellation, die Setz in seiner Vorlage aufbaut, ist klug eingefädelt. Wie der Protagonist ein ums andere Mal das Frageschema der Hotline-Stimme (FranzSolar) durchbricht, um den Menschen auf der anderen Seite der Leitung aus der Anonymität zu holen, ist nicht nur unterhaltsam. Die Melancholie ist immanent, jede Beziehung vage. Um den schemenhaften Charakter der Kommunikation zu verdeutlichen, erteilt Solar dem Publikum eine Lektion und bildet es zu Stimmen eines Abzocker-Callcenters aus: "Nutzen Sie die Höflichkeit der Menschen aus" und "machen Sie den Leuten ein schlechtes Gewissen".

Die junge Kärntner Regisseurin Anja Michaela Wohlfahrt spiegelt die kleine Welt von Muffs Figur links und rechts mit identen Mini-Bühnenbildern, die jeweils aus einem Regal mit ausziehbarem Bett bestehen. Links ist das stille Spiel Evamaria Salchers zu sehen, deren Figur als Metapher für introvertierte Verletzbarkeit gelesen werden kann. Im rechten Setting begeistert der steirische Percussionist GrilliPollheimer am Vibraphon und vermittelt nebenbei den Eindruck stilisierter, melancholischer Exzentrik. Dazwischen Muffs Figur als Symbiose der flankierenden Bilder, die in einem Akt fröhlichen Wahnsinns nach ein wenig Wahrhaftigkeit in einer Welt roboterhafter Anonymität strebt. Ob der einsame Nerd mit einem gestylten Sportoutfit adäquat dargestellt wird, bleibt als eine der wenigen offenen Fragen dieses Abends zurück.

"Flüstern in stehenden Zügen" ist an der Oberfläche ein luftiges, einfaches Spiel, unterhaltsam im Ton und zeitgemäß in seinem Kern - was insbesondere der Vorlage und dem (Sprach-)Gespür von Setz für alternative Blickweisen auf die Realitäten zu verdanken ist. Das Durchbrechen schematischer Beziehungen, das irgendwann zu Ansätzen realer Menschlichkeit führt, berührt anregend. Wohlfahrts Inszenierung verzichtet aus guten Gründen auf Umwege, konzentriert sich auf das Wesentliche und entscheidet sich für eine Hochglanz-Hauptfigur, um die Schattenwelten der Realität darzustellen. Eine erfreuliche Rückkehr auf die Bühne mit mehr als verdientem Applaus.

Flüstern in Stehenden Zügen. Schauspielhaus Graz, Haus Zwei. Uraufführung

Regie: Anja Michaela Wohlfahrt
Darsteller: Raphael Muff, Evamaria Salcher, Franz Solar
Bühne und Kostüme: Teresa Joham
Komposition: Grilli Pollheimer
Dramaturgie: Daniel Grünauer
Nächste Termine: 11. Juni (18 Uhr), 16. Juni (20 Uhr)